Feine Familie
Pyjamakordel zu kappen – ein Vorhaben, das dazu angetan war, die Ärzte zu Fehlinterpretationen zu veranlassen. Jemand mußte die wahnwitzigen Ereignisse des frühen Morgens ausgelöst haben, und da sie allesamt Wissenschaftler waren, tendierten sie nicht dazu, dem Rollstuhl die Schuld zuzuschreiben. Auch wußten sie nicht, daß der Grund für die Verwüstung des Schlafzimmers ein technischer in Gestalt des synchronisierten Wellenbades war. Sie hatten lange genug im Dunstkreis Lord Petrefacts zugebracht, um die Belastung, die er seinem Sekretär zumutete, nachfühlen zu können. Und so erschien es ihnen nur konsequent, daß der überstrapazierte Mann jetzt total durchdrehte und seinem Herrn und Meister den Bauch aufschlitzen wollte. Sobald Croxley die Pyjamakordel packtestürzten sie sich auf ihn, warfen ihn zu Boden und entwanden ihm das Messer.
Eben dieser Anblick bot sich Yapp, als er, wild entschlossen, diesen infernalischen Ort so schnell wie möglich zu verlassen, mit seiner Intourist-Tasche aus der König-Albert-Suite stürmte. Er bot sich auch den entsetzt aufgerissenen Augen von Mrs. Billington-Wall, die das Haus soeben für die Besucher öffnen wollte. Doch heute, in Tweedkostüm statt Twinset, war sie einfach unübertroffen. Ein Blick auf das Handgemenge zwischen den Ärzten und Croxley auf dem Boden, ein zweiter auf Yapp, der zögernd auf der Treppe stand, und ein letzter, angewiderter Bück auf Lord Petrefact – und schon war sie Herrin der Lage.
»Was zum Teufel haben Sie eigentlich da unten zu suchen?« fragte sie energisch.
»Er hat versucht, Lord Petrefact umzubringen«, murmelte einer aus dem Ärzteteam.
»Habe ich nicht«, stieß Croxley nach Atem ringend hervor. »Ich wollte nur die Schnur durchschneiden, die ...« Die Luft ging ihm aus.
»Ja, ja, das kennen wir schon«, sagte ein Arzt. »Typischer Fall von paranoider Schizophrenie. Das Durchtrennen von Nabelschnüren ...«
Doch Mrs. Billington-Wall hatte zumindest einen Teil der Situation erfaßt. »Da hat er möglicherweise recht«, sagte sie mit einem fachmännischen Blick auf Lord Petrefacts blau angelaufene Zehen. »Ohne Zweifel blockiert etwas die Durchblutung.« Und ohne viel Federlesens entknotete sie die Schnur der Pyjamahose, und man konnte zusehen, wie die Zehen allmählich wieder ihre normale Färbung annahmen. Peinlich berührt rappelten sich die Ärzte auf. »Also irgend jemand hat bestimmt versucht, ihn umzubringen. Sein Schlafzimmer ist völlig verwüstet. Er muß sich wie ein Berserker gewehrt haben.«
»Wenn Sie einen Schuldigen suchen, sollten Sie Ihre Aufmerksamkeit auf den da lenken«, sagte Mrs. Billington-Wall und wies auf Waiden Yapp, dem, wie er da so auf halber Treppe stand und zögerte, das Schuldbewußtsein deutlich ins Gesicht geschrieben stand. »Und wenn Sie dem alten Herrn nicht bald die Maske abnehmen, können Sie die Schuld bei sich selbst suchen.«
Waiden Yapp wartete nicht länger. Die Überzeugung, daß ihn nicht etwa ein Witzbold in dieses Haus gelockt hatte, sondern vielmehr jemand, der entschlossen war, ihn in diesem grauenhaften Bad zu Brei zu zermalmen und bei lebendigem Leib in kochendem Wasser zu garen, erwies sich angesichts des blutend und sichtlich in den letzten Zügen auf dem Boden liegenden Lord Petrefact als kaum noch haltbar. Er versuchte gerade, eine Erklärung dafür zu finden, warum die Ärzte sich mit Croxley balgten, als dieses versnobte Weib intervenierte und auf ihn als den Schuldigen deutete. Schon sah sich Yapp zum Sündenbock für jedwedes Verbrechen, das hier begangen worden war, abgestempelt. Als sich die Ärzte auf die Treppe zubewegten und Mrs. Billington-Wall Lord Petrefact von der Lebensrettungsmaschinerie, die ihn langsam umzubringen drohte, abkoppelte, geriet Waiden Yapp in Panik. Er machte kehrt, raste die Treppe hinauf und den langen Gang hinunter. Das Getrappel der Ärzte, die ihm dicht auf den Fersen waren, zwang ihn zum Weiterlaufen. Noch bevor er sich für einen Fluchtweg entscheiden konnte, fegten sie um die Ecke. Yapp entdeckte eine unverschlossene Tür, schlüpfte hinein, knallte sie hinter sich zu und wollte absperren. Doch da war kein Schlüssel. Oder er steckte außen. Einen Moment lang spielte er mit dem Gedanken, die Tür mit Möbelstücken zu verbarrikadieren, aber da die Vorhänge zugezogen waren, lag das Zimmer im Halbdunkel, und er konnte nichts erkennen. Sobald sich seine Augen daran gewöhnt hatten, stellte er fest, daß es weitgehend leer war und
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