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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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einem Pflichtgefühl, das persönliche Empfindungen beiseite fegte, polterte er die Treppe hinunter, kniete sich neben den leblosen Körper und tastete wenig zuversichtlich nach dem Puls. Allem Anschein nach vergeblich. Und wohin zum Teufel hatte sich das Reanimationsteam verkrochen? Wenn seine Dienste jemals gebraucht wurden, dann jetzt. Nachdem er mehrere Male »Hilfe!« geschrien hatte und niemand erschienen war, sah sich Croxley gezwungen, jene Maßnahme zu ergreifen, auf die er sich gewissenhaft vorbereitet hatte, nicht ohne inständig zu hoffen, sie würde ihm erspart bleiben. Er hob Lord Petrefacts blutenden Kopf an, wobei die Tatsache, daß er blutete, dafür zu sprechen schien, daß das alte Schwein doch noch nicht ganz tot war, kniff die Augen zu und begann mit Mund-zu-Mund- Beatmung. Als er sie nach dem dritten kräftigen Atemstoß vorsichtig öffnete, blickte sein linkes Auge geradewegs in Lord Petrefacts dämonisches rechtes. Sofort ließ Croxley den Kopf fallen. Er hatte dieses Auge schon früher mörderisch blitzen sehen, aber noch nie aus solcher Nähe.
    »Alles in Ordnung?« fragte er und bereute es auf der Stelle. Die Frage wirkte auf den alten Mann wie ein Stromstoß. Es war schon schrecklich genug gewesen, von einem wildgewordenen Rollstuhl gejagt und durch weiß Gott welchen Dreck geschleift zu werden, aber beim Aufwachen aus der Bewußtlosigkeit von seinem eigenen, seit fünfzig Jahren mit allem vertrauten Sekretär, noch dazu einem Mann, der mit seinem perversen Sinn für Humor aus den Extremitäten eines verdammten Wildschweins ein Spanferkel zusammengebastelt hatte, geküßt zu werden, war einfach zu gräßlich, um wahr zu sein. »In Ordnung?« kreischte er. »In Ordnung? Sie stehen da und haben die Unverschämtheit, mich zu fragen, ob alles in Ordnung ist. Und warum zum Teufel haben Sie mich geküßt?«
    »Mund-zu-Mund-Beatmung«, murmelte Croxley und verkniff sich die Bemerkung, daß er kniete und nicht stand, weil das die Situation nur noch zugespitzt hätte. Indessen rang Lord Petrefact mit der Kordel seiner Schlafanzughose. Was immer Croxley getan haben mochte, konnte warten, bis er mit diesem teuflischen Knoten fertig war, der sein Leben mit Gasbrand oder Schlimmerem bedrohte.
    »Kommen Sie, ich helfe Ihnen«, sagte Croxley, als ihm klar wurde, was da los war. Aber Lord Petrefact hatte die Nase voll von den oralen Aufmerksamkeiten seines Sekretärs. »O nein, das werden Sie nicht«, brüllte er und machte einen gräßlichen, krampfartigen Ruck. Der Rollstuhl rollte rückwärts und wiederholte seinen Versuch, sich von seinem abscheulichen Appendix zu befreien. Aufjaulend blieb Lord Petrefact liegen und wollte Croxley schon nach einem Messer schicken, als das Reanimationsteam aufkreuzte.
    »Er hat sich in seiner Pyjamakordel ver ...«, begann Croxley, wurde jedoch von den medizinischen Fachleuten beiseite gefegt, die glaubten, daß sie es besser wüßten. Während der eine die Sauerstoffmaske entfaltete, entwirrte ein anderer die Elektroden des Herzmassagegeräts. Binnen Sekunden war Lord Petrefact durch die Maske zum Schweigen gebracht und mußte erleben, was es für ein relativ gesundes Herz bedeutete, mit Elektroschocks stimuliert zu werden.
    »Schaffen Sie diesen verdammten Rollstuhl fort«, ordnete der Leiter des Teams an. »Solange uns dieses Ding im Weg stehtkönnen wir unmöglich arbeiten, und außerdem braucht der Patient Raum zum Atmen.«
    Lord Petrefact unter seiner Sauerstoffmaske war durchaus nicht dieser Ansicht, sah sich aber nicht in der Lage, seiner Meinung Ausdruck zu verleihen. Als die Elektroschocks durch seinen Brustkorb pulsten, seine Lungen mit Sauerstoff vollgepumpt wurden und schließlich einer der weißen Kittel den Rollstuhl wegzuzerren versuchte, wußte Lord Petrefact, daß es ans Sterben ging. Diesmal war es ihm ausnahmsweise egal. Verglichen mit dem, was diese Schweine mit ihm anstellten, mußte die Hölle ein Paradies sein.
    »Ihr verdammten Mörder«, plärrte er in die Maske. Gleich darauf bäumte er sich unter dem nächsten Stromstoß auf. Dann rammte ihm jemand eine Spritze in den Arm. Während ihm die Sinne schwanden, bekam er noch verschwommen mit, daß sich Croxley mit einem Ding, das gefährlich nach einem Metzgermesser aussah, über ihn beugte. Für den Bruchteil einer Sekunde dachte Lord Petrefact an das zurechtgestutzte Schwein und empfand Mitleid mit ihm. Im nächsten war er glücklicherweise bewußtlos, so daß Croxley darangehen konnte, die

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