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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Ausschau nach der Nummer 9. Er entdeckte sie am Ende der Häuserreihe und stellte erleichtert fest, daß der Vorgarten auf Reinlichkeit schließen ließ. Während sich die anderen Häuser ihrer unwirtlichen Umgebung anzupassen schienen, trug Nummer 9 deutlich individuelle Züge. Auf der kleinen Rasenfläche wimmelte es von Zwergen, denen ein paar steinerne Frösche und ein Hase Gesellschaft leisteten, und auch wenn man, dem Gebot proletarischen Denkens zufolge, einwenden mußte, daß diese Figürchen im Grunde eine Flucht vor den konkreten und objektiven gesellschaftlichen Bedingungen darstellten, wirkten sie in der Rabbitry Road irgendwie tröstlich. Yapp durchquerte den Garten und wollte soeben an die Tür klopfen, als hinter dem Haus eine Stimme ertönte. »Jetzt komm schon, Willy, und hol Blondie hier raus, bevor Hektor sie zum Abendessen verspeist.« Yapp ging ums Haus. Dort stand hinter einem großen Bettuch, das sie gerade auf die Leine hängte, eine massige Frau. Weiter hinten jagte ein Hund, der von recht unterschiedlichen Eltern abstammen mußte, ein Kaninchen durch ein kleines, fast nur aus Kohlköpfen bestehendes Gemüsebeet.
    Yapp räusperte sich diskret. »Mrs. Coppett?« fragte er. Neben dem Bettuch tauchte ein rundes, rosafarbenes Gesicht auf. »Gewissermaßen«, sagte sie und verlagerte ihren Blick auf seine Shorts.
    »Wie ich gehört habe, vermieten Sie Zimmer.« Mrs. Coppett gab sich alle Mühe, ihre Aufmerksamkeit auf sein Gesicht zu lenken. »Ich dachte, es ist Willy. Und daß Hektor Blondie erwischt, wenn ich nicht was unternehme.« Damit ließ sie Yapp stehen und stürzte sich ins Getümmel im Gemüsebeet, aus dem sie wenig später mit Hektors Schwanz in der Hand wieder auftauchte. Hektor folgte heftig scharrend, aber Mrs. Coppett hielt ihn mit eiserner Hand fest und verfrachtete ihn in die Küche. Nach ein paar Minuten kam sie mit dem Hund an einem Strick wieder heraus und band ihn am Wasserhahn neben der Tür fest. »Was wünschen Sie?« fragte sie. Yapp setzte sein verbindlichstes Lächeln auf. Allmählich dämmerte ihm, daß Mrs. Coppett eindeutig zu wünschen übrig ließ. Hätte man ihn gebeten, ihren Intelligenzquotienten anzugeben, hätte er vierzig Punkte dazugemogelt. »Sie vermieten doch Zimmer mit Frühstück?« Mrs. Coppett starrte ihn an und legte den Kopf auf die Seite. »Gewissermaßen schon«, sagte sie mit einem Unterton, den Yapp in seinen Vorlesungen als »Einkommensermittlungs- Syndrom« klassifizierte.
    »Würde gern bei Ihnen einmieten«, versuchte er sein Anliegen so simpel wie möglich vorzubringen, »falls Sie ein Zimmer frei haben.« Mrs. Coppett nickte mehrere Male recht heftig und ging voran ins Haus. Yapp folgte mit gemischten Gefühlen. Es gab soziale Maßnahmen, mit denen man Armut lindern und alle Menschen in materieller Hinsicht gleichmachen konnte, aber gegen geistige Ungleichheit war derlei Politik machtlos.
    Machtlos seinem Mißfallen ausgeliefert sah sich auch Yapp, als er die Küche betrat, die in puncto Ästhetik die Gartenzwerge weit in den Schatten stellte. Die Wände waren über und über mit Fotografien von Freistilringern, Gewichthebern und Body- Buildern bedeckt, die allesamt ihre entstellten Muskeln schwellen ließen und recht unzulänglich bekleidet waren. »Hübsch, finden Sie nicht?« sagte Mrs. Coppett, die Yapps Verblüffung offenbar für Bewunderung hielt. »Ich mag starke Männer.«
    »Ja«, sagte Yapp, erleichtert bei der Feststellung, daß die Küche ansonsten peinlich sauber und ordentlich war. »Und Fernsehen haben wir auch«, fuhr sie fort, während sie ihn in die Diele führte und stolz eine Tür öffnete. Yapp schaute hinein und erlitt den nächsten Schock. Das Zimmer war ebenso sauber und ordentlich wie die Küche, nur waren diesmal die Wände mit Farbfotos von kleinen Kuscheltieren mit unnatürlich großen und ausdrucksvollen Kulleraugen tapeziert, die Yapp abscheulich sentimental antrieften.
    »Die gehören Willy. Er liebt Kätzchen über alles.« Yapp empfand diese Bemerkung als überflüssig, da das Zimmer eindeutig von Kätzchen beherrscht wurde. Eine grobe Schätzung ergab, daß sie sich gegenüber Hundebabies, Eichhörnchen, Häschen und sonstigen Wollknäueln, die wie zerknirschte Stinktiere aussahen, in der absoluten Überzahl befanden.
    »Sie helfen ihm, ihn von der Arbeit abzulenken«, fuhr Mrs.
    Coppett auf dem Weg nach oben fort.
    »Und was für eine Arbeit macht Mr. Coppett?« fragte Yapp, während er inständig hoffte,

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