Feine Familie
Gummistiefeln Größe siebenundzwanzig war Mr. Coppett über und über mit Blut beschmiert. Mit den Händen umklammerte er ein abscheuliches Messer.
»’n Abend«, sagte er, als Yapp wie angewurzelt stehenblieb. »Arbeite unten im Schlachthof. Scheußlicher Job.« Bevor Yapp seine Zustimmung zum Ausdruck bringen konnte, war Mr. Coppett im Bad verschwunden.
Kapitel 10
Eine Stunde später befand Yapp sich noch immer in jenem Zustand mitfühlenden Elends. Während all der Jahre, in denen er hingebungsvoll die Abgründe der Armut, postpubertäre Isolation, rassische und sexuelle Diskriminierung und die Demütigung von seilen der Überflußgesellschaft erforscht hatte, war ihm nicht ein Fall von Entfremdung untergekommen, der sich mit Mr. Coppett hätte vergleichen lassen. Daß ein zutiefst sensibler, tierliebender Perg, der mit einer unfruchtbaren und frustrierten Person von extrem limitierter Intelligenz verheiratet war, gezwungen war, seinen Lebensunterhalt als Ausweider zu verdienen, war ein schlagendes Beispiel für das Versagen der Gesellschaft im Hinblick auf die Bedürfnisse der Unterprivilegierten. Gerade hatte er überlegt, wie sich Mr. Coppetts Fall sozioterminologisch am besten klassifizieren ließ, und war zu dem Ergebnis gelangt, daß »individuelle genetische Katastrophe« nicht zu hoch gegriffen war, als ihm ein Geruch in die Nase stieg, der seine Gedankengänge unterbrach. Yapp saß auf der Bettkante und schnüffelte.
Aus der Küche zog die unverwechselbare Duftwolke von Kutteln und Zwiebeln herauf. Yapp knirschte mit den Zähnen und schauderte. Auch wenn Mrs. Coppett geistig noch so unterentwickelt war, mußte sie doch wenigstens einen Funken Sensibilität besitzen. Yapp kamen allmählich starke Zweifel. Die Gartenzwerge und die Freistilringer, die die Küchenwände verschandelten, verrieten einen deutlichen, wenn auch vielleicht unbewußten Hang zum Sadismus bei dieser Frau. In den unterbelichteten Tiefen ihres Bewußtseins gab sie eindeutig ihrem Mann die Schuld für seine Unzulänglichkeit. Zur sozialen Not kam noch die Grausamkeit innerhalb der eigenen vier Wände. Yapp stand auf, ging die Treppe hinunter und verließ das Haus. Dadurch, daß er bei den Coppetts wohnte, unterstützte er sie zwar finanziell, aber er hatte nicht die Absicht, sich auch noch hinzusetzen und die Demütigung des armen Perg bei Tisch mitzuerleben. So fuhr Yapp in die Stadt, um dort zu essen. Doch wie so oft war seine Diagnose falsch. In der Küche von Nummer 9 war alles in bester Ordnung. Mochte Yapp noch so energisch auf der Bezeichnung Perg bestehen, Willy ließ sich ausgesprochen gern als Zwerg bezeichnen. Das verlieh ihm einen gewissen Status in Buscott, die Leute behandelten ihn ausnahmslos höflich, und er bekam jede Menge Teilzeitjobs. Sicher gab es einige wenige einfühlsame Zeitgenossen, die es als schändlich empfanden, wenn man Willy in verstopfte Gullys hinunterschickte, um sie auszuräumen, oder ihn in den Brunnen hinter dem Rathaus abseilte, um den Hut des Bürgermeisters heraufzuholen, den es bei einer besonders windigen Antrittsrede weggeweht hatte. Willy hätte sich über Bedenken solcher Art nur gewundert. Er genoß das Leben und ritt bei der großen Jagd von Bushampton regelmäßig mit dem Gesicht nach hinten auf dem Hinterzwiesel von Mr. Symonds Sattel mit, von wo aus er einen herrlichen Ausblick auf die Landschaft hatte und ihm der Anblick des Tötens erspart blieb.
Bei einer dieser Jagden hatten sie ihn mit dem Hinweis darauf, daß der Terrier steckengeblieben sei oder sich verletzt haben müsse, sogar dazu überredet, in den Dachsbau zu kriechen, in dem der Fuchs Zuflucht gesucht hatte. Was den sauberen Jägern entging, war die Tatsache, daß der Fuchs längst durch ein anderes Loch entwischt war und der Terrier auf Leben und Tod gegen die Meute wildgewordener Dachse kämpfte, die das Eindringen erst des Fuchses, dann des Terriers und schließlich auch noch Willys sehr übel nahmen. Willy kam am schlechtesten dabei weg. Nachdem ihn der Terrier, seinen Rettungsversuch als heimtückischen Angriff von hinten mißverstehend, in die Nase gebissen hatte, hätte ihn ein extrem ungehaltener Dachs um ein Haar um eine ganze Hand gebracht. Zuletzt mußten Willy und der Terrier ausgebuddelt und heftig blutend zum Tierarzt gebracht werden, der die Fuchsjagd lauthals verfluchte. In seinem Zorn wollte er den nicht als menschliches Wesen erkennbaren Willy in einer Ecke absetzen, um sich zuerst um den Hund zu
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