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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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daß sein Zimmer nicht mit Zigarettenbildchen vollgeklebt war.
    »Also, tags kuttelt er und abends trocknet er ab«, sagte Mrs. Coppett und vermittelte Yapp damit nur eine sehr vage Vorstellung von Mr. Coppetts Tagwerk und den Eindruck, daß er nach dem Abendessen in der Küche mithalf. Wenigstens sein Zimmer war von Bildern verschont geblieben. Auf der Kommode lagen ein paar Schicksalsromane, doch abgesehen von deren gespenstischen Titelbildern und einer Schar Gipsenten an der Wand entsprach das Zimmer durchaus seinem Geschmack.
    »Ich les’ gern was Gutes«, meinte Mrs. Coppett, während sie die Heftchen fein säuberlich zu einem Stapel zusammenschob. »Sieht alles recht hübsch aus«, sagte Yapp. »Wieviel kostet es denn?«
    In ihren Augen blitzte ein Schimmer von Intelligenz auf. »Kommt drauf an.«
    »Wären fünf Pfund pro Tag angemessen?«
    Mrs. Coppett kicherte. »Da muß ich erst Willy fragen. Fünf Pfund würde Extras bedeuten, nicht wahr?«
    »Extras?«
    »Abendessen und belegte Brote und alles. Wenn Sie natürlich abends nur früh heimkommen wollen, muß ich Willy nicht fragen, oder?«
    »Ich denke nicht«, sagte Yapp, ohne ihrer Logik im mindesten folgen zu können. »Aber für belegte Brote wäre ich recht dankbar. Ich werde nämlich den ganzen Tag unterwegs sein.« Er zog seine Brieftasche heraus und entnahm ihr sieben Fünfpfundnoten.
    »Oho«, sagte Mrs. Coppett, mit den Scheinen liebäugelnd,
    »Sie wollen wirklich Extras. Das merke ich schon.«
    »Ich zahle immer gerne im voraus«, sagte Yapp und gab ihr das Geld. »Also das ist für die ganze Woche.« Kichernd ging Mrs. Coppett nach unten.
    Yapp hatte seine Stiefel bereits aufgeschnürt, als ihm einfiel, daß sein Rucksack noch unten im Wagen lag. Also schnürte er sie wieder zu, humpelte nach unten und absolvierte einen Spießrutenlauf an Mrs. Coppetts muskelbepackten Idolen und den Gartenzwergen vorbei, holte sein Gepäck und fragte, ob er ein Bad nehmen könne. Mrs. Coppett zögerte, und sofort verfluchte Yapps soziales Gewissen seine Taktlosigkeit. Wahrscheinlich waren die Coppetts zu unterprivilegiert, um überhaupt ein Bad zu haben. Wie gewöhnlich täuschte er sich. »Ich habe es halt gerne, wenn Willy vor dem Essen noch duscht«, erklärte sie. Yapp entgegnete, daß er das gut verstehen könne.
    »Aber wenn Sie nicht das ganze heiße Wasser verbrauchen ...«, meinte Mrs. Coppett. Yapp ging in sein Zimmer zurück, untersuchte seine Füße und stellte fest, daß sie besser aussahen, als sie sich anfühlten, überquerte den Gang und wollte gerade ins Bad, als er bemerkte, daß die Tür zum Schlafzimmer der Coppetts offenstand.
    Als er kurz stehenblieb, erspähte er deutliche Anzeichen für eine weitere familiäre Tragödie. Neben dem Doppelbett stand eine leere Wiege. Da Mrs. Coppett nicht den Eindruck erweckte, als sei sie schwanger, und man angesichts ihrer Erbmasse nur hoffen konnte, daß dieser Fall nie eintreten möge, war die Wiege wohl Ausdruck eines unverwirklichten Traums oder – schlimmer noch – einer Fehlgeburt. Wie real die eingebildete Mutterschaft für Mrs. Coppett war, zeigte der kleine, sorgfältig zusammengelegte Schlafanzug auf dem winzigen Kopfkissen. Yapp seufzte und ging ins Bad. Auch hier irritierte ihn einiges. Zwar gab es eine Badewanne, aber eine Dusche konnte er nirgends entdecken; nur eine in einer Höhe von ein Meter zwanzig an einen Wasserhahn angeschlossene Brause. Yapp setzte sich auf den Wannenrand, wusch sich die Füße und dachte wieder einmal darüber nach, wie unendlich traurig das menschliche Dasein doch manchmal war.
    Gerade war er fertig und trocknete sich behutsam ab, als Stimmen von unten heraufdrangen. Anscheinend war Mr. Coppett von seiner Arbeit nach Hause gekommen. Yapp öffnete die Tür und wollte über den Gang in sein Zimmer zurückgehen, als ihm in vollem Umfang klar wurde, wie unendlich traurig das menschliche Dasein sein konnte, was Mrs. Coppett mit »kutteln« gemeint hatte, was die Wiege und der winzige Schlafanzug bedeuteten und warum sie darauf bestand, daß Willy duschte, bevor er sich zu Tisch setzte – auf einmal gab es für all das eine Erklärung. Mr. William Coppett war ein Zwerg (vor lauter Entsetzen gebrauchte Yapp selbst diesen unhöflichen Ausdruck), und noch dazu ein verdammt blutiger. Wäre er nicht die Treppe heraufgekommen, hätte Yapp ihn sicher für einen der leuchtend bunten Gartenzwerge gehalten. Von der kleinen Mütze bis hinunter zu den ehemals weißen

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