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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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ihn.

Kapitel 12
    Waiden Yapp verbrachte eine unruhige Nacht. Schuld daran waren zum Teil die Geräusche von nebenan. Sie ließen darauf schließen, daß die Coppetts einander nicht gerade freundschaftlich gesonnen waren und daß Willy üble Laune hatte. Hätte Yapp nicht um Mrs. Coppett unverhältnismäßig kräftigen Körperbau gewußt, hätte er sogar angenommen, daß ihr winziger Ehemann sie windelweich prügelte. Aber dieser Gedanke war nicht der einzige, der ihn beunruhigte. Die anderen kreisten um Sex.
    An dieser Stelle muß gesagt werden, daß Waiden Yapps Ruf als Einzelgänger vollauf gerechtfertigt war. Nie war er der Verlockung erlegen, sich einer Studentin zu nähern. Andere Dozenten und sogar einige verheiratete Professoren hatten die Eintönigkeit von Tutorenkursen und Familienleben dadurch belebt, daß sie – vorgeblich im Namen progressiven Denkens, radikaler Politik und fanatischen Liberalismus – mit ihren Studentinnen schliefen. Nicht so Yapp. Dank der Vernachlässigung durch seine nach Höherem strebende Mutter und der protestantischpietistischen Ethik seiner Tante betrachtete er solche Affären mit puritanischer Verachtung. Soweit schön und gut, aber mit seiner eigenen Sexualität mußte er trotzdem zurechtkommen. Und wenn er ehrlich war, mußte er zugeben, daß er da nicht ganz so puritanisch war. Sie drückte sich auf der einen Ebene in zarten Gefühlen für bereits verheiratete Frauen aus, die er aus sicherer Entfernung anbetete, ohne daß sie auch nur Notiz von ihm nahmen, während sie auf einer tieferen, dunkleren Ebene in Visionen und unbezähmbaren Tagträumen zum Ausbruch kam, in denen sein Handeln von einer derart uferlosen Lüsternheit bestimmt war, daß er unter schweren Schuldgefühlen und dem starken Verdacht, pervers veranlagt zu sein, litt. Trotz seiner dreißig Jahre war Waiden Yapp in sexueller Hinsicht ein pubertierender Jüngling.
    Als Gegengift gegen diese unbezähmbaren Phantasien arbeitete er härter den je und nahm, wenn die Spannung unerträglich wurde, Zuflucht zu dem, was seine Tante stets als Selbstbefleckung verteufelt hatte. Zum Glück hatte er im Rahmen eines Seminars über »Sexuelle Diskriminierung in der Baumwollindustrie von 1780 bis 1850« zwangsläufig R. D. Laing gelesen und dort zu seiner Beruhigung erfahren, daß der berühmte Psychologe die Ansicht vertrat, daß das Masturbieren bei einigen Individuen die ehrlichste Handlung in ihrem Leben darstelle. Nicht, daß Yapp diese Sicht restlos überzeugt hätte. Individualismus geriet mit seinen kollektivistischen Anschauungen in Konflikt, und trotz semantischen Gerangels mit Doris, die meinte, beim Masturbieren ließen sich diese zwei Standpunkte durchaus verbinden, glaubte Yapp fest daran, daß zwischenmenschliche Beziehungen, vorzugsweise auf kommunaler Basis, für die menschliche Erfüllung unerläßlich waren. Seine Instinkte waren da anderer Ansicht und fuhren mit ihren einsamen und erschreckend irrationalen Eruptionen fort. Als er jetzt, erlöst von Mrs. Coppetts realer und ausufernder Gegenwart, die ihm solche Angst eingejagt hatte, im Bett lag, verwandelte seine Phantasie sie in das leidenschaftliche Geschöpf seiner Träume. Und tatsächlich kam sie der eingebildeten Geliebten ungeheuer nahe, nicht zuletzt wegen ihre mangelnden Intelligenz. Das war so eine Sache, die Yapp ungeheuer verblüffte. Aus der Ferne verehrte er zwar Frauen mit makelloser Moral und hoher Intelligenz, doch seine Begierde weckten reife Frauen, die keinerlei Moral und keinen Funken Intelligenz besaßen. Mrs. Coppett paßte haargenau in dieses Schema. Er stellte sich vor, mit ihr im Bett zu liegen, ihre ausladenden Brüste zu küssen, ihr Mund auf dem seinen und ihre Zunge ...
    Yapp setzte sich im Bett auf und drehte das Licht an. So ging es nicht. Diese irrationalen Träume mußten ein Ende haben. Er griff nach dem Ordner mit der Familienkorrespondenz, die Lord Petrefact ihm geschickt hatte, und versuchte, damit diese Bilder zu verjagen. Doch ließ sich Mrs. Rosie Coppett, gleich einem heimlich ersehnten Succubus, nicht verscheuchen. Am Ende gab er auf, löschte das Licht und versuchte so ehrlich zu handeln, wie er nur konnte. Doch stieß er dabei erneut auf ein Hindernis. Das Bett quietschte so rhythmisch, daß ersieh nicht konzentrieren konnte, und so gab er auch diesen Versuch auf. Schließlich fiel er in unruhigen Schlaf und wachte am nächsten Morgen mit dem Gefühl auf, daß ihm etwas Sonderbares widerfuhr.
    Nachdenklich

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