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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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während er dem Schlachthofdirektor erklärte, daß er heute ohne besonderen Grund frei haben wolle.
    »Sie müssen aber doch einen Grund haben«, sagte der Boss zu Willys oberer Gesichtshälfte, die ihn über die Schreibtischkante hinweg anglotzte. »Fühlen Sie sich nicht wohl? Ich meine, wenn Sie krank sind...«
    »Nein«, sagte Willy.
    »Dann vielleicht Ihre Frau ...«
    »Auch nicht krank.«
    »Oder irgendwelche Verwandte ...«
    »Nein«, sagte Willy, »hab’ ich keine.« Er wetzte sein Messer unter dem Schreibtisch heftiger, was den Manager, der nicht recht wußte, was Willy da machte, zu falschen Vermutungen veranlaßte.
    »Hören Sie zu, Willy«, sagte er und beugte sich zu ihm hinunter, »ich bin jederzeit bereit, Ihnen freizugeben. Sie brauchen mir nur einen vernünftigen Grund zu nennen. Sie können doch nicht einfach hereinschneien und tun, was immer Sie da unten tun – und wo wir schon beim Thema sind, es wäre mir lieber, Sie würden es bleibenlassen –, und von mir erwarten, daß ich einfach so ›ja‹ sage.«
    Willy erwog diesen durchaus vernünftigen Einwand, gelangte aber zu keinem brauchbaren Entschluß. In seiner ganz persönlichen Hierarchie rangierte Mr. Frederick ungleich höher als der Manager des Schlachthofs, und obwohl Mr. Petrefact ihm nicht ausdrücklich aufgetragen hatte, niemandem etwas über seinen Beschattungsauftrag zu erzählen, war er nicht gewillt, darüber zu reden.
    »Geht nicht«, sagte er schließlich und prüfte unwillkürlich die Klinge seines Messers mit dem Daumen. Für den Manager war diese Geste ein ausreichender Grund.
    »Also gut. Ich werde eben hinschreiben, daß private Gründe vorliegen.«
    »Genau«, sagte Willy und ließ den etwas konsternierten Manager stehen. Er zuckelte die Straße in Richtung Rabbitry Road hinunter und entdeckte gerade noch rechtzeitig den entgegenkommenden Yapp. Willy ging hinter einer Frau, die einen Kinderwagen schob, in Deckung und wartete, bis Yapp vorbei war. Von da an blieb er ihm dicht auf den Fersen, obwohl er seine ganze Kraft aufbieten mußte, um mit ihm Schritt zu halten. Als Yapp schließlich ins Museum ging, war er froh über die Verschnaufpause. Er sah durch die Glastür, daß Yapp den Kurator ansprach, und schlüpfte hinein, um Genaueres zu hören.
    »Die Unterlagen der Petrefact?« sagte der Kurator. »Ja, natürlich befinden die sich hier, aber ich furchte, Einblick gewähren kann ich Ihnen nicht.«
    »Aber ich habe Ihnen doch erklärt, daß ich befugt bin«, sagte Yapp, »und außerdem habe ich hier einen Brief von Lord Petrefact ...«
    Willy notierte sich die Tatsache und auch, daß sie den Kurator nicht im mindesten beeindruckte.
    »Ich muß Ihre Bitte ablehnen. Ich habe ausdrückliche Anweisungen von Miss Emmelia, niemandem Einblick in die Familiendokumente zu gewähren, es sei denn, sie habe die Erlaubnis dazu erteilt. Es wird Ihnen nichts anderes übrigbleiben, als sich ihre Genehmigung zu holen.«
    »Verstehe. Wenn das so ist, werde ich sie auch bekommen«, sagte Yapp. Und nachdem er sich kurz im Museum umgesehen und den Kurator zu einer Vitrine mit frühen Bauerngerätschaften beglückwünscht hatte, trat er hinaus auf die Straße. Willy folgte ihm. Diesmal führte sie ihr Weg hinunter zur Mühle, wo sie zu Willys großer Verwunderung und Yapps vorschneller Genugtuung eine Reihe Streikposten antrafen, die auf ihren Transparenten höhere Löhne für kürzere Arbeitszeit forderten und Drohungen gegen Streikbrecher ausstießen. Soweit Willy Coppett wußte, waren die Löhne in der Mühle hoch und die Arbeitszeit kurz, so daß er das Ganze beim besten Willen nicht begreifen konnte. Yapp hingegen glaubte, es zu können. Die Unterstellung allerdings, daß er ein Streikbrecher sei, mißfiel ihm gründlich.
    »Mein Name ist Yapp, Professor Yapp. Vielleicht haben Sie schon von mir gehört«, erklärte er dem Anführer der Streikposten, einem großen, kräftigen Mann, der sein Transparent drohend schwenkte. »Ich würde nicht im Traum ans Streikbrechen denken.«
    »Dann versuchen Sie auch nicht, die Streikpostenkette zu durchbrechen.«
    »Das versuche ich ja gar nicht«, entgegnete Yapp. »Ich bin hier, um eine Untersuchung über eure Arbeitsbedingungen zu machen.«
    »Und für wen?«
    An dieser Stelle zögerte Yapp. Die Wahrheit, nämlich daß er für Lord Petrefact arbeitete, würde wohl kaum auf Gegenliebe stoßen, doch andererseits widersprach es seiner Natur, anderen Leuten, zumal einem Streikposten, plumpe Lügen

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