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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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ging er ins Bad hinüber und versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was er sich für diesen Tag vorgenommen hatte. Er wollte ins Museum gehen, den Kurator um Einsicht in die Unterlagen über die Petrefacts bitten und sehen, was er daraus über die Arbeitsbedingungen und die Löhne in der Mühle unmittelbar nach ihrer Erbauung durch Samuel Petrefact in Erfahrung bringen konnte. Ausgehend von dieser soliden statistischen Grundlage, wollte er sich dann zur derzeitigen Familie durcharbeiten. Auch wenn sich Lord Petrefact die Familiengeschichte als eher persönlichen und fast biographischen Bericht über Generationen von Petrefacts vorgestellt haben mochte, so hatte Yapp seine Prinzipien. Er würde auf seine Weise vorgehen – vom Allgemeinen zum Besonderen. Auch hatte er beschlossen, daß das Buch den Titel Das Petrefact-Erbe: Eine Untersuchung über das Auftreten des
    multinationalen Kapitalismus bekommen sollte. Und falls er dem alten Mann nicht paßte, konnte er ihm den Buckel runterrutschen. Der Vertrag sicherte Yapp freie Hand in der Behandlung des Themas zu, und nicht umsonst war er Spezialist für proletarische Geschichtsschreibung. In einem etwas weniger aufgewühlten Zustand ging er anschließend zum Frühstück hinunter. Doch hier erhielt sein Rationalismus einen neuen Schlag. Willy war bereits zur Arbeit gegangen, und Mrs. Coppett wirkte, nachdem sie den dubiosen Putz vom gestrigen Abend abgestreift hatte, frisch und häuslich und war gefährlich besorgt und zurückhaltend. »Ich weiß nicht, was Sie von mir denken müssen«, sagte sie, während sie ihm eine große Schüssel Porridge vorsetzte, »ausgerechnet Sie als Professor und so.«
    »Nicht der Rede wert«, meinte Yapp bescheiden. »O doch. Willy hat es mir gestern abend erzählt. Er war furchtbar wütend.«
    »Das tut mir aber leid. Hat er denn gesagt, warum?« Mrs. Coppett schlug zwei Eier in die Pfanne. »Weil Sie ein Professor sind. Drunten im Pub wurde darüber geredet.« Yapp unterdrückte einen Fluch. Sobald sich das in Buscott herumgesprochen hatte, würden sich die Petrefacts wundern, warum er sich noch nicht bei ihnen gemeldet hatte. Andererseits wüßten sie ohnehin bald Bescheid, und er mußte zugeben, daß es naiv gewesen war, sich einzubilden, daß er seine Recherchen anstellen konnte, ohne daß sie davon erfuhren. Während er so über seinem Frühstück saß und nachdachte, wanderte seine Aufmerksamkeit unweigerlich zur Mrs. Coppett zurück, die am Herd stand und vor sich hin plapperte, wobei ihr Gerede monoton um die Tatsache kreiste, daß er ein Professor war, ein Titel, mit dem sie wahrscheinlich nichts Konkretes verband, der sie aber mit ungeheurer Ehrfurcht erfüllte. In dieser Situation verschaffte sich Yapps Glaube an die Gleichheit aller Gehör.
    »Sie dürfen mich nicht für jemand Besonderen halten«, sagte er in unmittelbarem Widerspruch zu seinen Gefühlen. Anständig gekleidet, war sie eine attraktive Frau aus der Arbeiterklasse, deren körperliche Vorzüge durch den Mangel an geistigen um so krasser zur Geltung kamen. »Ich bin nur Gast in Ihrem Haus. Es würde mich freuen, wenn Sie mich Waiden nennen würden.«
    »Ooch«, sagte Mrs. Coppett und tauschte die Porridgeschüssel gegen einen Teller mit Rührei und Schinken aus. »Das könnte ich nie.«
    Yapp konzentrierte sich auf die Eier und schwieg. Noch immer hing ein Hauch von Parfüm in der Luft, und diesmal erregte ihn, was es verhieß. Außerdem hatte Mrs. Coppett sehr hübsche Beine. Er schlang das restliche Essen hinunter und wollte schon das Haus verlassen, als sie ihm eine Blechdose in die Hand drückte.
    »Belegte Brote. Sie sollen doch nicht hungern, oder?« Yapp murmelte ein Dankeschön und wurde erneut von einer Woge jenes fatalen Mitgefühls ergriffen, das ihre Herzlichkeit in ihm hervorrief. In Verbindung mit dem gefälligen Rest, insbesondere mit Mrs. Coppetts Beinen, übte es eine ausgesprochen verheerende Wirkung auf ihn aus. Mit verlegen gemurmelten Dankesworten, die sein Verlangen, sie in die Arme zu nehmen und zu küssen, kaschieren sollten, wandte Yapp sich um, eilte an den Gartenzwergen vorbei und schlug den Weg nach Buscott ein, schmerzlich hin- und hergerissen zwischen dem Gedanken an das, was er den Petrefacts antun würde, und dem, was er gerne für die Coppetts und mit ihr anstellen würde. Willy erwiderte dieses Wohlwollen durchaus nicht. Seine Gefühle spiegelten sich am ehesten in der Intensität, mit der er sein Messer am Gürtelende wetzte,

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