Feine Familie
besonderer Inspiration gemalte Gestalt aussah. Nur die überwältigende Duftwolke konnte er niemandem zuschreiben. Es war ihm unmöglich, die verschiedenen Duftstimuli, die auf ihn einströmten, zu identifizieren. Nur so viel konnte er feststellen, daß Kutteln und Zwiebeln weitgehend in den Hintergrund getreten waren. Während der Stunden, die Rosie Coppett auf ihn gewartet hatte, hatte sie heftig mit der Entscheidung für ein Parfüm gerungen. Begonnen hatte sie mit Pariser Nächte, hatte dann verschiedene Fläschchen ausprobiertdie ihre Mutter ihr hinterlassen oder Willy ihr geschenkt hatte, und wurde von dieser Duftmischung schließlich so benebelt, daß sie versucht hatte, sie alle in Pariser Nächte zu ertränken. Doch damit nicht genug. Da sie nicht wußte, wie sie die Zeit herumbringen sollte, kam sie auf die Idee, das Bad zu putzen und mit Tannenduft zu besprühen, entdeckte dann ein paar Fliegen in der Küche, deren kurzem Leben sie mit dem einzigen anderen Spray, das sie finden konnte, ein Ende bereitete – einem Zeug, das eigentlich zum Imprägnieren von Wildlederschuhen gedacht war, das sie allerdings benutzte, um Hektor das Bellen abzugewöhnen.
Für Yapp spielte das alles keine Rolle. Er war wie versteinert angesichts dessen, was er jetzt verschwommen, aber unzweideutig als Mrs. Coppett in einem ausgezogenen, angemalten und duftenden Zustand erkannte, der darauf schließen ließ, daß sie nicht nur jeden Duft unter der Sonne an sich ausprobiert, sondern das Zeug auch noch getrunken hatte. »Ich bin bereit«, sagte sie und warf sich in schauerlich verrenkter Pose, die den vermeintlichen Strumpfhalter zur Geltung bringen sollte und in der Tat Yapps angewiderte Aufmerksamkeit auf sich zog, gegen das Treppengeländer. »Bereit?« sagte er mit vor Spannung und Schuhspray belegter Stimme.
Mrs. Coppett lächelte. Oder vielmehr: Der liebevoll zu einem verunglückten Kußmaul verschmierte Lippenstift rutschte zur Seite und verzog sich zu einer schrägen, scharlachroten Sichel. Doch Yapps fassungslose Aufmerksamkeit wurde noch immer von den Überresten des mütterlichen Stützkorsetts gefesselt. Was immer das sein mochte und wie immer er es auch betrachtete, es sah beunruhigend nach Folterinstrument aus. Auf Anhieb hätte er darauf getippt, daß sich Mrs. Coppett entweder zur Hälfte aus einer für eine Person restringierter Größe konzipierten Zwangsjacke befreit hatte oder aber bei dem Versuch überrascht worden war, sich verkehrt herum in einen extrem primitiven Büstenhalter zu zwängen. Und was zum Teufel hatten diese Riemen mit den Knöpfen am Ende zu bedeuten? An dieser Stelle wurden seine Mutmaßungen über urzeitliche Unterwäsche unterbrochen.
»Ist schon in Ordnung. Willy ist im Pub«, flüsterte sie. Yapp wünschte inständig, er wäre ebenfalls dort. »So«, sagte er, um Zeit zu gewinnen und das allmählich übermächtig werdende Gefühl niederzukämpfen, daß irgend etwas entweder mit Mrs. Coppett oder mit seiner Einbildungskraft total schief gelaufen war.
»Und Sie haben ja gesagt, daß Sie Extras wollen«, fuhr sie fort. »Sie haben mir doch fünf Pfund gegeben.«
»Extras?« stieß Yapp mühsam hervor. Mrs. Coppett löste sich aus ihrer Pose und kam auf ihn zu. Yapp verschanzte sich hinter dem Küchentisch. Die kahle Glühbirne warf ein neues und wenig anziehendes Licht auf die Dinge. Und wie sie so im Türrahmen stand, gehörte Mrs. Coppett eindeutig in die Kategorie Dinge. Als er sie im Garten zum erstenmal hinter dem Bettuch hatte hervorlugen sehen, hatte sie schlicht, ehrbar und nahezu mütterlich gewirkt. Die Künstlichkeit ordinärer Schminke hatte sie völlig verändert. So gut wie nackt, denn das durchsichtige Nachthemd hielt, was der Prospekt versprochen hatte, und mit einem, wie er jetzt erkennen konnte, verstümmelten Korsett angetan, hatte sie nichts Ehrbares oder Mütterliches mehr an sich. Die Schlichtheit war auch dahin. Er stand einer Nymphomanin gegenüber, die er aufgrund seiner beschränkten Kenntnis dieser Spezies lediglich als extrem kompliziertes Wesen erachtete. Manische Menschen waren per definitionem verrückt, und Yapp mußte nicht erst sein abstraktes Denkvermögen strapazieren, um festzustellen, daß Mrs. Coppett total übergeschnappt war. Die grünen Lidschatten und der Lippenstift allein reichten schon. Und wo steckte dieser verdammte Zwerg? Schon möglich, daß der kleine Saukerl im Pub war. Ebensogut aber konnte er oben mit diesem grausigen Messer auf der
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