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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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Außerdem hätte er Yapp damit in eine äußerst heikle Situation gebracht, da dieser eine verlassene und geistig unterentwickelte Frau in der Stunde der Not schlecht im Stich lassen konnte. Gleichzeitig würde er, wenn er noch länger in diesem Haus verweilte, nur Ärgernis erregen und Gerüchten Vorschub leisten. Während er sich im Rasierspiegel betrachtete, ein Unterfangen, zu dem er sich erst hinknien mußte, weil Willy den Spiegel seinen Bedürfnissen entsprechend in knapp einem Meter Höhe angebracht hatte, gelangte Yapp zu dem Schluß, daß er nicht das Recht hatte, Mrs. Coppetts Ruf zu ruinieren. Dazu kam, daß seine höchst sonderbaren Gefühle für sie einen weiteren Aufenthalt unmöglich machten. Er würde ihr einen Scheck über zweihundert Pfund dalassen und sich heimlich aus dem Staube mache. Das war die einzige Möglichkeit. Nur so konnte er den herzzerreißenden Tränen eines offiziellen Abschieds entgehen.
    Nachdem er sich rasiert und aufgrund des ungünstig plazierten Spiegels geschnitten hatte, kehrte er in sein Zimmer zurück, zog sich an, packte seinen Koffer und schrieb einen Scheck über dreihundert Pfund aus. Außerdem hinterließ er Rosie eine kurze Nachricht, die besagte, er werde sich nach angemessener Frist bei ihr melden. Getrieben von plötzlicher Kühnheit, die ihm zum Verderben werden sollte, unterschrieb er mit »Liebe Grüße, Waiden«.
    Zwanzig Minuten später sah er Rosie mit einer Einkaufstasche aus dem Haus gehen. Nachdem sie in Richtung Buscott verschwunden war, verließ er das Haus samt Rucksack und Koffer, warf beides auf den Rücksitz des Vauxhall und fuhr in die entgegengesetzte Richtung davon. Die Sonne schien, und der Himmel war wolkenlos, aber Yapp stand der Sinn nicht nach der Schönheit der Natur. Er dachte darüber nach, was für ein trauriger Ort die Welt doch war und wie absonderlich seine eigene Natur, daß sie sich so ungeheuer von dem großen Körper und dem kleinen Verstand einer Frau wie Rosie Coppett angezogen fühlte.
    Außerdem hing ein recht seltsamer Geruch im Wagen, ein ausgesprochen scheußlicher Geruch, der an verstopfte Abflußrohre erinnerte. Aber Yapp tat ihn in der Meinung, daß wahrscheinlich irgendein Bauer seine Felder mit Schweinemist düngte, als eine der weniger genüßlichen Seiten der Landwirtschaft ab und konzentrierte sich ganz auf die Frage, wie er Miss Petrefact am geschicktesten angehen sollte. Aufgrund dessen, was er bei seinen Spaziergängen durch Buscott aufgeschnappt und durch Rosie mitbekommen hatte, hatte er den Eindruck gewonnen, daß sie völlig zurückgezogen lebte, wohl etwas exzentrisch, aber ansonsten nicht unbeliebt war. Zumindest war sie offenbar nicht so widerlich wie ihr Bruder. Zwar hätte er es vorgezogen, seine Nachforschungen beim einfachen Volk fortzusetzen, aber nach seinen bisherigen Erfahrungen war ihm klar, daß ohne ihre Zustimmung gar nichts ging. Nachdem er gleichzeitig zu dieser Schlußfolgerung und zum Fuß des Hügels, auf dem das New House lag, gelangt war, fiel ihm ein, daß Rosie irgend etwas von einem Brief von Miss Emmelia gesagt hatte. Über seiner Krankheit hatte er den verdammten Wisch ganz vergessen. Und jetzt war es zu spät, um umzukehren und ihn zu holen.
    Er fuhr den Hügel hinauf, bog in die Einfahrt ein und hielt auf dem Kiesplatz vor dem Eingang an. Zähneknirschend mußte er zugeben, daß Samuel Petrefact, der Begründer der Fabrik und des gewaltigen Familienbesitzes, mit diesem Haus erlesenen Geschmack und eine gewisse Bescheidenheit bewiesen hatte. Yapp empfand das fast als persönliche Kränkung, denn ein Grundsatz seiner Lebensphilosophie besagte, daß die Häuser von Unternehmerkapitalisten, die ihren Fabrikarbeitern ein Leben in Not und Elend bereiteten, diese Scheußlichkeit widerspiegelten. Auf Samuel Petrefact traf das nicht zu. Yapp stieg aus und wollte soeben läuten, als sich ganz hinten im Gebüsch jenseits des Rasens etwas bewegte. Wenig später tauchte eine Gestalt mit einer bis über die Ohren reichenden Stoffmütze, einer Mistgabel und völlig verdreckter Schürze und Händen auf. Sobald Yapp über den Rasen auf sie zuging, verschwand sie wieder im Gebüsch.
    »Können Sie mir vielleicht sagen, ob Miss Petrefact zu Hause ist«, sagte er zu einem Cordsamtrücken, der sich über einen Schneeballstrauch beugte.
    Der Cordsamt zog sich noch weiter ins Gebüsch zurück. »Genaugenommen nicht«, entgegnete er mürrisch. »Und wer sind Sie denn wohl?«
    Yapp zögerte. Diese

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