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Feine Familie

Feine Familie

Titel: Feine Familie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Sharpe
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litten, zogen sich nicht einfach mit einem stumpfen Gegenstand eins über den Kopf, kletterten dann in die Kofferräume von anderer Leute Autos und starben dort. Yapp war sich dessen ebenso sicher wie der Tatsache, daß Willys Tod durch die gewaltsame Einwirkung eines stumpfen Gegenstandes verursacht worden war. Früher hatte er sich gelegentlich über die Verwendung des Wortes »stumpf« Gedanken gemacht und es als unpräzise empfunden, aber der grausige Anblick von Willys Leiche hatte ihn davon überzeugt, daß dieser Begriff durchaus exakt war. Doch jetzt hatte er keine Zeit für derlei Spekulationen. Er mußte etwas unternehmen. Und da stieß er bereits auf die nächste Schwierigkeit. Ähnlich wie »stumpf« bekam auch das Wort »unternehmen« unter diesen entsetzlichen Umständen eine völlig andere Bedeutung als bisher gewohnt. Es bedeutete nicht, Meinungen äußern, Vorlesungen halten oder gescheite Monographien verfassen. Es bedeutete, wieder in dieses bestialisch stinkende Gefährt zu steigen, zur nächsten Polizeiwache zu fahren und einem Polizisten zu erklären, daß er – wahrhaft unabsichtlich – im Besitz eines toten, vermodernden und zweifellos ermordeten Zwergs sei. Als Yapp sich die Folgen eines solchen Eingeständnisses vor Augen hielt, stellte er fest, daß sie samt und sonders äußerst unangenehm waren. Als erstes würde es erhebliche Zweifel an seiner Geschichte geben, dann an seinem Geisteszustand und zuletzt, nach seinen bisherigen Erfahrungen mit der Polizei zu urteilen, nicht die mindesten an seiner Schuld. Je länger er darüber nachdachte, um so unglaublicher kam es ihm selbst vor, daß jemand mit einem auch nur annähernd intakten Geruchssinn fast vierzig Meilen in diesem Auto gefahren sein konnte, ohne zu merken, daß sich so etwas wie ein Kadaver im Kofferraum befand. Es wäre hoffnungslos, einem ignoranten Dorfpolizisten erklären zu wollen, daß seine Empörung über die Verrottung des sozialen Gewissens in Buscott ihn so in Anspruch genommen hatte, daß er keine Nase für das unmittelbar Verrottende hatte und daß er die meiste Zeit so schnell gefahren war, daß er den Gestank abgehängt hatte. Und mit Geschichten über tote Kaninchen würde er auch nicht weiterkommen. Yapp hatte zwar keine Ahnung, wie ein totes Kaninchen roch, aber daß es nicht annähernd so barbarisch stinken würde wie ein toter Perg, wußte er mit Sicherheit. Erschwerend im Umgang mit der Polizei kam hinzu, daß Yapp bei zahlreichen Gelegenheiten Ansprachen vor streikenden Arbeitern und von der Gewerkschaft aufgestellten Streikposten gehalten hatte; ganz zu schweigen von seinen Auftritten bei Protestkundgebungen für zu Unrecht verurteilte Gesetzesbrecher oder verfolgte Minderheiten, bei denen er die Polizei über Megaphon als semiparamilitärische Gewalt zum Schutz des Eigentums auf Kosten von Menschen beschimpft hatte. Und in einer Rede, über die in allen Medien ausführlich berichtet worden war, hatte er sie gar als »den Flaum auf dem Gesicht des Faschismus« entlarvt. Angesichts seiner derzeitigen mißlichen Lage bereute Yapp diese Aussprüche. Sie würden wohl kaum dazu beitragen, ihm wohlwollendes Gehör bei irgendeiner Polizeiwache zu verschaffen. Er erinnerte sich an Geschichten über brutale Gewaltanwendung im Knast und geriet regelrecht in Panik, als ihm dämmerte, daß derjenige, der Willy umgebracht hatte, seinen vorübergehenden Aufenthaltsort derart scharfsinnig ausgesucht hatte, daß man annehmen mußte, diese Wahl sei nicht ganz zufällig gewesen.
    Mit einem Wort: Er saß in der Falle. Zur Panik kam die Paranoia. Man hatte ihn zweifellos in eine Falle gelockt, und der Grund dafür war nicht schwer zu erraten. Man hatte ihn hereingelegt, um zu verhindern, daß er die erbärmlichen Verhältnisse aufdeckte, die in der Fabrik der Petrefacts herrschten. Es war ein typischer Akt von politischem Terrorismus seitens des kapitalistischen Establishments. Sobald ihm das bewußt geworden war, zog Yapp daraus eine einfache Schlußfolgerung: Er mußte die Leiche so schnell wie möglich loswerden, und zwar so, daß man ihn nicht damit in Verbindung bringen konnte. Am besten wäre es, sie dorthin zurückzuschicken, wo sie eigentlich hingehörte. Aber wie? Nach Buscott zurückfahren würde er mit dieser Ladung bestimmt nicht; aber irgendwo in der Nähe mußte doch der Bus fließen. Eilends konsultierte Yapp seine Karte und stellte fest, daß der Fluß ein paar Meilen östlich lag. Wenn er geradeaus

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