Feine Familie
arrogante Anrede mißfiel ihm – auch aus dem Mund eines armseligen Gärtners. Aber es kam ja öfter vor, daß die Dienstboten der Reichen das Gehabe und den mangelnden Anstand ihrer Herrschaft übernahmen. »Mein Name ist Yapp. Professor Yapp. Ich möchte gern Miss Petrefact sprechen.«
Das unwillige Gebrumm aus den Tiefen eines australischen Lampenputzerbaums hörte sich an, als würde er sich gedulden müssen, bis sie zurück sei. Unschlüssig stand Yapp auf dem Rasen und ließ seinen Blick über den Garten wandern. Er war ohne Zweifel sehr gepflegt, wenngleich die Schrebergärten, die winzigen Kohlbeete und das Balkongemüse der sparsamen Armen eher seinem Geschmack entsprachen als kunstvoll angelegte Blumenrabatten, Zierbüsche und Steingärten. »Sich als Gärtner um den ganzen Kram da zu kümmern muß ein Stück harte Arbeit sein«, meinte er. »Ist es auch.« Diesmal kam die Stimme von einem Pfingstrosen-Stock und klang noch barscher als zuvor. Yapp, dem dies nicht entging, schrieb es den natürlichen Ressentiments kleiner Angestellter zu.
»Arbeiten Sie schon lange hier?«
»Fast seit ich denken kann.«
Yapp sann über ein Arbeitsleben nach, das darin bestand, auf Händen und Knien durchs dichte Buschwerk zu rutschen und Unkraut zu jäten, und fand es wenig angenehm. »Werden Sie denn wenigstens anständig bezahlt?« fragte er mit einem Unterton, der das Gegenteil suggerierte. Undeutlich kam unter einem Königsfarn hervor, daß es zum Leben nicht ausreichte. Yapp begann sich für das Thema zu erwärmen. »Und wie ich annehme, gibt Ihnen das alte Mädchen auch keinen Penny zusätzlich für Anfahrtszeit, Kleidung und Brotzeit?«
»Keine Rede davon.«
»Schändlich«, sagte Yapp, glücklich, in Buscott endlich einen echten, unter Mißständen leidenden Proletarier gefunden zu haben. »Was Sie brauchen, ist eine Gartenbaugewerkschaft, die für Ihre Rechte eintritt. Wie viele Stunden pro Woche müssen Sie denn arbeiten, damit dieser Garten so aussieht, wie die Alte ihn haben möchte?« wieder ertönte unwilliges Schnauben, das mit »Neunzig« endete, war entrüstet. »Neunzig? Das ist wirklich ungeheuerlich.«
»Manchmal sogar hundert«, sagte die Stimme, die inzwischen zu einer Fiederspiere weitergewandert war. »Aber ... aber das ist ja Fronarbeit«, sagte Yapp, der in seiner Empörung nach Worten rang. »Die alte Hexe hat absolut kein Recht, Sie so zu behandeln. In der Industrie würde kein Mensch auch nur im Traum daran denken, hundert Stunden in der Woche zu arbeiten. Und natürlich bekommen Sie auch keine Überstunden bezahlt, oder?«
Ein höhnisches Kichern aus den Tiefen der Fiederspiere war die Antwort. Während Yapp der Stimme nachging, ließ er seinem heiligen Zorn über das Ausbeutertum freien Lauf. »Und ich bin ziemlich sicher, daß es da unten in dieser dreckigen Fabrik dasselbe ist. Das ganze System ist durch und durch verrottet. Aber ich werde dafür sorgen, daß diese Stadt und die Machenschaften der Petrefacts in die Schlagzeilen kommen. Das hier ist das verkommene Beispiel dafür, zu welchen Mitteln die kapitalistische Klasse greift, um das Proletariat zu schröpfen. Nein, vielen Dank, Sie können der dreckigen alten Hexe sagen, daß ich auf ihre Hilfe verzichte und daß sie bald erleben wird, was gut eingefädelte Publicity alles bewirken kann.« Und nachdem sich Yapp aufgrund dieses einzigen und ziemlich einseitigen Gesprächs in eine begründete Empörung über die Misere der Arbeiter in Buscott hineingesteigert hatte, ging er zu seinem Wagen zurück, stieg ein und fuhr davon. Jetzt wußte er, was er zu tun hatte. Er würde nach Kloone zurückkehren und sein Forschungsteam losschicken. Es war zwecklos, sich länger mit Voruntersuchungen auf individueller Basis aufzuhalten. Die Leute waren zu eingeschüchtert, um offen zu reden, außer sie konnten, wie der alte Gärtner, ihre Anonymität wahren oder wußten, daß die Außenwelt hinter ihnen stand, um sie zu schützen. Und die Außenwelt würde geballt anrücken – mit Tonbändern und Kameras.
Als er abgefahren war, tauchte die dreckige alte Hexe hinter einem wilden Orangenbäumchen auf und sah ihm mit gemischten Gefühlen nach. Der Mann war ein Vollidiot, aber ein gefährlicher, und sie war froh, die Möglichkeit gehabt zu haben, statt der sicher höflicheren Maske beim Nachmittagstee sein wahres Gesicht gesehen zu haben. Außerdem freute sie sich, daß es ihr gelungen war, ihn hinters Licht zu führen. Sie wischte sich die Hände
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