Feine Milde
sondern hechtete zur Rathaustür. Die Sitzung begann um vier. Im Augenblick war sie nur als sachkundige Bürgerin im Stadtrat, aber jeder wußte, daß das nur ein Sprungbrett sein sollte, und die Gespräche über zukünftige Aufgaben in der Partei und über ihre Rolle in der Kommunalpolitik hatten vor zwei Wochen endlich zu dem Ergebnis geführt, das sie sich vorgestellt hatte. Deshalb war sie besonders darauf bedacht, pünktlich zu erscheinen.
Den Autoschlüssel noch zwischen den Zähnen, mit der Rechten in ihrer Umhängetasche nach der Tagesordnung suchend, stieß sie die Glastür auf. Das gesamte Foyer war erfüllt von wütendem Gebrüll. Die Tonlage kannte sie doch. – Richtig, Merlin Jansen lag bäuchlings quer vor dem Informationsschalter, trommelte mit Händen und Füßen und sabberte auf den Teppichboden. Neben ihm kniete Heiderose, flüsterte Beschwichtigendes, aber sie hatte dabei die zinnoberroten Flecken im Gesicht, die Bärbel Peters nur zu gut kannte. Etwas abseits bemühte sich Kassandra, Heideroses Tochter, angestrengt, nicht vorhanden zu sein.
»Es hat wohl keinen Sinn.« Heiderose Jansen hob ihren Sohn auf und versuchte ihn hinzustellen. Er zog die Beine an, streckte beide Arme steif von sich und steigerte sein Gebrüll um einige Dezibel.
»Komm, Kassy, bring ihn ins Auto. Das hier ist sehr wichtig, aber es wird bestimmt nicht lange dauern.«
Kassandras Gesichtsausdruck wechselte zwischen Erleichterung und Resignation. Sie packte ihren Bruder fest beim Unterarm und zerrte ihn hinter sich her zum Ausgang. Bärbel Peters hielt ihr die Tür auf. Kassandra grüßte mit den Augen einer Fünfundvierzigjährigen.
»Hee, was machst du denn hier?« Die Flecken auf Heidi Jansens Wangen waren nur noch hauchrosa.
Bärbel Peters schulterte ihre Tasche. Keine Frage, die erste halbe Stunde der Sitzung würde ohne die sachkundige Bürgerin stattfinden.
»Ratssitzung«, lächelte sie. »Du weißt doch. Und was tust du hier?«
Heiderose hatte wieder alles unter Kontrolle. »Ich habe einen Termin beim Ordnungsamt.«
Ihr ganzer Körper wartete auf eine Frage.
Die Peters tat ihr den Gefallen: »Ordnungsamt? Was willst du denn bei denen?«
Die Jansen wühlte in ihrem Beutel herum und redete dabei mit harter Stimme. »Mein Herr Nachbar zur Linken; Mitte Fuffzig, keine Kinder, Mercedesfahrer, verstehst du? Der hat vorige Woche eine gesunde Tanne in seinem Vorgarten einfach abgesägt. Das muß man sich mal vorstellen! Der Baum war mindestens dreißig Jahre alt. Mindestens!«
Bärbel Peters nickte und schaffte es, unbemerkt einen Blick auf ihre Uhr zu werfen.
»Es ist wirklich zum Kotzen, wie wenig die Leute an die Umwelt denken. Überhaupt kein Bewußtsein!«
Die Peters nickte wieder und schaute zur Treppe.
»Und sowieso, den Kerl hatte ich schon lange auf dem Kieker«, fuhr Heiderose fort. »Kennst du diese Giftspritzen, wo man so einen Tank auf dem Rücken hat? Damit rennt der die ganze Zeit durch seinen Garten. Alle Wildkräuter werden mit der chemischen Keule niedergemacht. Sogar den Klee in seinem dämlichen englischen Rasen rottet er damit aus. Und das ist, soweit ich weiß, verboten. Wir wollen doch mal sehen, ob der morgen auch noch so eine große Klappe hat. Alte Ökosau!«
»Scheußlich«, bemerkte Bärbel Peters. Sie kannte die Jansen seit über zehn Jahren und wunderte sich doch immer wieder, wenn sie ihre Temperamentsausbrüche kriegte und die Stimme hysterisch kippelte. Das wollte so gar nicht zu diesem bäuerlich-schlichten Gesicht und den verhuschten Augen passen.
»Und das dickste Ei«, keifte Heidi und zog eine Büchse aus der Sacktasche, »das Zeug hier, mit dem er seinen Garten verpestet und das Grundwasser verseucht, ist saugefährlich, toxisch für Mensch und Tier.« Sie hielt Bärbel die Dose direkt unter die Nase. »Die hat Joshua beim Spielen in seiner Mülltonne gefunden.«
Die Peters wich einen Schritt zurück. »Was sucht dein Sohn in anderer Leuts Mülltonnen?«
Das Zinnoberrot zog sich jetzt bis zum Hals. »Na ja, Kinder, du weißt schon … Die spielen doch überall. Aber ist doch lebensgefährlich, oder?«
Das war es in der Tat, und Bärbel Peters hätte ihr dazu gern ein paar Takte gesagt, aber dies war nicht der rechte Zeitpunkt, deshalb heuchelte sie Einverständnis.
»Übrigens, Heidi, ich habe das ganze Wochenende versucht, dich zu erreichen.«
»Ach ja? Ich war mit den Lütten bei meinen Eltern. Was gab’s denn? Wolltest du mir etwa auch eine reinwürgen wegen
Weitere Kostenlose Bücher