Feine Milde
auch verstehen, warum das so war. Beim Jugendamt betrug die Wartezeit für ein deutsches Baby fünf bis sieben Jahre, und in vielen Fällen dauerte es noch länger. Man konnte gut und gern vierzig sein, wenn man endlich eine Familie gründete. Da nahm man lieber die 10.000 Mark auf sich, die ein ausländisches Kind in der Regel kostete.
Bei dem letzten Paar, das er besucht hatte, war vor zwei Wochen der Nachwuchs angekommen: ein Baby aus Nordindien mit einer Haut wie Milchkaffee. Sie hatten von INTERKIDS die Adresse des Kinderheimes in Indien bekommen, waren hingeflogen und hatten das Baby abgeholt. Dann waren sie in ein Hotel gezogen und hatten dort eine Woche lang das Kind versorgt, bevor sie die Papiere bekommen hatten und das Kind mit nach Europa nehmen durften. So war es Vorschrift in Indien. Jetzt mußte das Ehepaar ein Jahr warten und währenddessen mit mehreren Überprüfungen rechnen, bis die deutsche Adoption unter Dach und Fach war. Bis dahin fungierte das Jugendamt als gesetzlicher Vertreter. Das Paar hatte Toppe die Geschichte sehr ausführlich erzählt, Berge von Bescheinigungen, Zeugnissen, Genehmigungen gezeigt – man merkte, daß die beiden überhaupt noch nichts verdaut hatten.
Als Toppe ins Präsidium zurückkam, hatte er sechs Paare besucht und war vollkommen leer. Er tippte seinen langweiligen Bericht, drückte ihn Heinrichs in die Hand und machte, daß er nach Hause kam.
Astrid lag auf dem Sofa und hatte gelesen. Sie sah immer noch blaß aus, aber es ging ihr wohl schon besser.
»Die Tropfen, die mir der Doktor gegeben hat, wirken prima. Ich habe sogar schon was gegessen.«
Toppe setzte sich zu ihr. Sie kuschelte sich mit dem Rücken in seine Arme. »Erzähl, was gibt’s Neues?«
»Später«, brummelte er.
»Ist es dir recht, wenn ich morgen vor der Arbeit eben bei dem Makler reinspringe?«
Die erste Schlafwelle überrollte ihn. »Du solltest noch gar nicht arbeiten.«
»Quatsch! Morgen bin ich wieder fit.«
Er döste leise weg.
»Toppe?«
»Hm?«
»Haben wir eigentlich Kondome im Haus?«
»Kondome? Wozu denn?«
»Na ja, bei Brechdurchfall ist die Pille nicht mehr sicher.«
»Du bist doch sowieso noch viel zu schlapp.«
»Das weiß ich eigentlich nicht so genau.«
19
Der Makler, den ihr Vater empfohlen hatte, war ihr schon auf den ersten Blick unangenehm, Ende Fünfzig, sonnenbankfarben, und die Zahnlücke zwischen den oberen Schneidezähnen war irritierend. Sie hatte immer schon, zu ihrer Schande, Probleme gehabt, Leute mit diesem Manko wirklich ernstzunehmen. Er sprach sie stur mit »Frau von Steendijk« an, obwohl sie ihm gleich zu Anfang gesagt hatte, daß ihr »Steendijk« vollkommen reiche. Zuerst wäre sie am liebsten wieder gegangen, aber der Mann hatte ein paar ganz interessante Angebote. Nach einer Weile hörte sie einfach weg, wenn er von seinen guten Beziehungen sprach und die entsprechenden Namen nannte. Sein Blick klebte immer wieder an ihrem Busen, und das herablassend mitleidige Gesicht, das sie sich für solche Fälle angewöhnt hatte, schien ihm überhaupt nichts auszumachen. Sie nahm sich vor, niemals mit ihm allein eine Wohnung zu besichtigen. Er überzeugte sie, daß eine Wohnung, in der Größe und Ausstattung, die sie sich vorstelle, keine gute Wahl sei, er habe da ein paar »ganz schnuckelige Häuschen«, die sie sich vielleicht mal ansehen solle. Sie nahm eine Liste mit, die sie mit »ihrem Partner durchsprechen würde« und wollte sich in den nächsten Tagen wieder melden. »Lassen Sie sich nicht zu viel Zeit, Frau von Steendijk, diese Objekte sind sehr gefragt.«
Das Paar, das Astrid zuerst besuchte, wohnte in einem Flachdachbungalow in einer Seitenstraße vom Ruppenthaler Weg. Sie hatte, bevor sie hinfuhr, mit dem Mann telefoniert und ihren Besuch angekündigt. Trotzdem kam Herr Schimmelpfennig barfuß und im Bademantel an die Tür. Er sah todmüde und gleichzeitig aufgekratzt aus. Auf eine sehr nette Art zerknirscht entschuldigte er sich für seinen Aufzug.
»Ich versuche schon seit zwei Stunden, in die Kleider zu kommen, aber irgendwie habe ich kein Glück.«
Er führte sie ins Wohnzimmer, bat sie hastig, Platz zu nehmen, und flitzte wieder hinaus.
Astrid sah sich um: viel helles Holz, auch auf dem Fußboden, blaue Sofas und Gardinen, ein heller, gewebter Teppich. Es war ein wenig unordentlich – überall lagen Bücher und Zeitungen herum, Schnuller, Beißringe, auf dem Couchtisch zwei Babyflaschen mit angetrockneten Milchresten – aber
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