Feine Milde
keinerlei Regung, als van Appeldorn ihn spöttisch musterte und seinen Blick bei der starken Brille verweilen ließ. Toppe fragte sich, ob er es nicht bemerkte. Er hatte oft das Gefühl, daß Jupp Ackermann wesentlich mehr mitkriegte, als sie alle so glaubten.
»Warum hat mir eigentlich keiner gesacht, dat der Wim Lowenstijn ’ne deutsche Mutter hat?« fragte er vorwurfsvoll in die Runde. »Ich brech mir da einen ab, von wegen Nederlands praten un’ frach mich, wat der immer so grinst. Gut, hat vielleicht ’n Narren an dir gefressen, denk ich no’ so. Zwei Tage hat der Kerl mich schmoren lassen un’ sich ’n Ast gelacht. Aber sons’ läuft dat klasse mit uns.«
Sie waren längst beim ’Du’ angelangt und tauschten sich regelmäßig aus über die Halter der roten Mercedes aus der C-Klasse, die sie überprüft hatten.
»Sind doch mehr, wie ich gedacht hab. Dat sind vielleicht Typen, sach ich euch«, schüttelte er sich. »Aber au’ nich’ ein normaler Mensch dabei.«
Van Appeldorn zog aufatmend die letzte Seite seines Berichts aus der Maschine. Das vierundzwanzigste Paar, das er besucht hatte. Eigentlich gehörten die Leute schon gar nicht mehr auf die Liste, denn die Adoption war vor drei Wochen rechtskräftig geworden. Auch sie hatten über INTERKIDS ein Kind aus Bulgarien bekommen, einen Jungen, der jetzt zwei Jahre alt war. Van Appeldorn war viel länger geblieben als nötig und hatte mit dem Kleinen geschäkert und erste Fußballversuche gemacht. Er selbst hatte ja nur Mädchen.
Er legte die Blätter aufeinander, reichte sie Heinrichs rüber und lehnte sich zurück. Jetzt nach Hause in die leere Wohnung? Marion hatte sich doch noch durchgerungen und war mit den Kindern allein nach Dänemark gefahren, aber sie hatte schon dreimal angerufen und sich beklagt, wie öde es sei, und Müll am Strand, und die Kinder hätten ständig die Füße voller Teer. Sie erwartete, daß er spätestens Anfang nächster Woche nachkam. Er reckte sich. Vielleicht saßen ja ein paar Fußballkumpel in der Vereinskneipe.
Heinrichs packte van Appeldorns Bericht oben auf den Stapel: Nummer 63 Elterngespräche. Er stutzte, las noch einmal und fing an, in den Papieren zu wühlen. Zwei der Stapel gerieten ins Rutschen und kladderten zu Boden. Toppe räusperte sich tadelnd, aber das interessierte Heinrichs überhaupt nicht; er hatte gefunden, was er suchte.
»Ich bringe das gleich schon in Ordnung, muß sowieso noch mal alles durchgehen. Aber hört mal, es geht doch um Balkankinder. Wir haben hier zweimal Bulgarien: Astrids Familie mit den Zwillingen, die Schimmelpfennigs, und jetzt Norbert heute. Und beide Adoptionen laufen über INTERKIDS. Sollten wir uns nicht doch mal deren Kartei besorgen?«
Toppe sah ihn nachdenklich an.
»Nicht?« fragte Heinrichs. »Ich meine, das sind die einzigen Kontakte zum Balkan, auf die wir bis jetzt gestoßen sind.«
»Doch, doch, du hast völlig recht«, antwortete Toppe.
»Maywald wird höchst begeistert sein«, meinte Astrid.
»Der hat doch diesen Tick mit dem Datenschutz.«
Van Appeldorn fand das erfreulich. »Hat jemand was dagegen, wenn ich morgen früh die Kartei hole?«
»Und die Papiere der Kinder aus Bulgarien sollten wir uns auch besorgen«, überlegte Toppe.
Flintrop stand plötzlich im Zimmer. Keiner hatte ihn anklopfen hören. »Herr Toppe, können Sie mal mit runterkommen auf die Wache?«
»Was ist denn?« fuhr Toppe ihn unwirsch an.
»Kommen Sie doch einfach.« Flintrop sah bedrückt aus.
Als sie auf dem Gang waren, rückte er endlich mit der Sprache raus: »Ihr Sohn. eine unangenehme Geschichte.«
»Christian? Ist ihm was passiert?«
»Na ja, passiert, so kann man es eigentlich nicht nennen. Er ist im Kaufhaus erwischt worden, als er einen Walkman mitgehen lassen wollte. Leider haben die gleich Anzeige erstattet.«
Christian Toppe saß breitbeinig, weit zurückgelehnt, die Hände in den Taschen auf der schmalen Bank an der Wand und sah langsam hoch, als sein Vater hereinkam. Toppe unterdrückte den Impuls, ihn zu packen und ihm mit aller Kraft ins ausdruckslose Gesicht zu schlagen. Statt dessen griff er sich Christians Rucksack, der auf dem Tresen lag und schleuderte ihn dem Jungen vor die Brust.
»Steh auf!«
Christian erhob sich.
Die Kollegen sahen betreten vor sich hin.
»Ich fürchte«, meinte Flintrop, »wir können da nichts dran drehen.«
»Dran drehen?« Toppe fuhr zu ihm herum. »Ich hoffe, die verknacken ihn zu einem saftigen Sozialdienst.« Und
Weitere Kostenlose Bücher