Feine Milde
Toppe und nahm Kuli und Papier, um einen vorläufigen Plan für die nächsten Tage zu machen.
»Och nee«, maulte Heinrichs. »Können wir das nicht in der Kantine besprechen? Ich komme um vor Hunger.«
Die Kantine war zwar seit der Renovierung gemütlicher geworden – man hatte Holzboden verlegt und statt der orangefarbenen Resopaltische Kiefernmöbel reingestellt – der Koch jedoch war derselbe geblieben, und die Qualität des Essens war nach wie vor abhängig von seiner Tagesform. Heute mußte er strahlender Laune sein: das Wiener Schnitzel war zart, die Bratkartoffeln kroß, und selbst die Erbsen waren als solche zu identifizieren. Heinrichs hatte ganz schön mit sich zu kämpfen, daß er sich nicht noch eine zweite Portion holte.
Toppe knüllte seine Serviette zusammen und warf Astrid einen finsteren Blick zu. Sie hatte ihn während des Essens kein einziges Mal angesehen. Was hatte er denn jetzt schon wieder falsch gemacht? Er spürte, wie vom Nacken her der Kopfschmerz hochkroch. Auf Knatsch zu Hause und fruchtlose Diskussionen über die Tiefe seiner Gefühle und ihre gemeinsame Zukunft konnte er im Moment wahrhaftig verzichten. Hier ging doch sowieso schon alles drunter und drüber.
»Um wieviel Uhr kommt Frau Peters?« fragte er van Appeldorn.
»Um drei.«
»Dann übernehmt ihr die, und ich fahre in die Hamstraße und klappere die Nachbarn ab. Möglicherweise hat ja doch irgendeiner was beobachtet.«
»Sonntag morgens um fünf?« meinte Heinrichs zweifelnd.
»Du hast natürlich recht, aber soll ich es deshalb bleiben lassen?« gab Toppe gereizt zurück.
Heinrichs zog den Kopf ein. »Bitte nicht schlagen!« grinste er.
Toppe sah weg.
»Und ich?« fragte Astrid. »Soll ich meinen Bericht schreiben, oder was?«
»Ja«, erwiderte er knapp. »Und bleib im Büro. Kann sein, daß Ackermann gleich kommt.«
30
Bärbel Peters gab sich alle Mühe, den Eindruck von gestern abend wett zu machen. Als sie kam, entschuldigte sie sich offen für ihr abweisendes Verhalten und erklärte, daß sie wirklich in einer sehr wichtigen Besprechung gewesen sei.
Van Appeldorn und Heinrichs nahmen sie mit ins Vernehmungszimmer, einem spärlich möblierten Raum am Ende des Flures. Den Rücken sehr gerade, ging sie vor ihnen her, eine selbstsichere, auffallende Frau: 1,80 in groß, sehr schlank, sehr kurzes, blondes Haar. Sie war dreiundvierzig Jahre alt, geschieden, hatte zwei fast erwachsene Kinder, war Lehrerin im Hauptberuf, aber auch politisch aktiv und sozial engagiert im Kinderschutzbund und in der MEILE. Bis gestern jedenfalls.
Es lag an ihr, daß aus der Vernehmung nicht das übliche Frage- und Antwortspiel wurde. Keinen Augenblick lang gab sie das Heft aus der Hand. Offensichtlich glaubte sie, daß man sie wegen INTERKIDS herbestellt hatte und erläuterte ruhig, wie die Adoptionsvermittlung arbeitete und daß sie sich überhaupt nicht vorstellen könne, daß irgend jemand da »unsaubere Geschäfte« gemacht habe. Aber Heinrichs unterbrach sie, er wollte erst einmal alles über die MEILE wissen. Man merkte, daß sie den Verein schon oft präsentiert hatte, sie begann mit der Idee, mit den Schwierigkeiten, die es in der Anfangsphase gegeben hatte, kam dann zu den Inhalten, den vielen Projekten und endete mit den aktuellen Mitgliederzahlen und den Erfolgen.
»Von den ursprünglichen Vereinsgründern sind jetzt nur noch drei Leute im Vorstand gewesen, was auf eine gesunde Entwicklung hindeutet, nicht wahr? Wir haben es offensichtlich verstanden, neue Mitglieder gleich so einzubinden, daß sie bereit sind, nicht nur Aufgaben, sondern auch Verantwortung zu übernehmen. Das ist in vielen anderen Vereinen nicht der Fall.«
»Und warum haben Sie Ihr Amt niedergelegt?« wollte Heinrichs wissen.
»Das hat mehrere Gründe«, lächelte sie ein wenig nachdenklich. »Zum einen muß man sagen, daß einen zehn Jahre in der ersten Reihe doch ein bißchen mürbe machen, und zum anderen ist es wohl so«, sie sah van Appeldorn in die Augen, »daß man in unserem Alter vielleicht den Wunsch hat, noch einmal was Neues anzufangen. Diese internationale Schule reizt mich sehr.«
»Sie wollen an der neuen Schule als Lehrerin arbeiten«, vermutete van Appeldorn.
»Ja«, kam es spontan, dann zögerte sie einen Moment.
»Ich mache gerade meine Rektorenprüfung. Wenn ich Glück habe, komme ich sogar in eine leitende Position.«
»Und mit der MEILE war das Projekt nicht zu verwirklichen?« fragte Heinrichs.
»Es wäre zumindest sehr
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