Feine Milde
Straßenseite und bog in den Feldweg ein. Bloß keinen Bekannten treffen, mit jemandem reden müssen! Im Wald war es kühl, und es roch gut nach satter Erde und Moos.
Schluß machen mit Helmut und dem ganzen Familienklüngel, den Job schmeißen. Irgendwo von vorn anfangen. Ganz weit weg. Schwachsinn! Sie liebte ihren Beruf, zumindest in dem Punkt hatte Christian unrecht. Die Revolution gegen ihre Eltern hatte sie lange hinter sich. Als sie zwei Monate vor der Gesellenprüfung die Goldschmiedelehre geschmissen hatte. An dem Tag, als ihr Vater mit ihr in die Stadt gegangen war, um ihr den kleinen Laden zu zeigen, den er gekauft hatte, damit sie sich gleich selbständig machen konnte. In der Nacht noch hatte sie ihre Sachen gepackt und war abgehauen, weg von dem gemachten Bett. Vier Monate kreuz und quer durch Europa. Goldschmieden – das war nicht die Erfüllung gewesen. Das Entwerfen von Schmuckstücken, das hatte ihr schon Spaß gemacht, da hatte sie auch immer die besten Noten gehabt. Komisch, daß sie nie wieder einen Gedanken daran verschwendet hatte. Was hatte sie tatsächlich noch außer der Arbeit und Helmut? Wollte sie ein Kind, damit ihr Leben mehr Farbe kriegte? Das wäre ein übler Grund. Aber das war’s ja auch nicht. Sie holte tief Luft und legte einen Sprint ein, gute zweihundert Meter, volles Tempo. Schwitzend und außer Atem lehnte sie sich gegen einen Baum, ließ den Oberkörper hängen, die Arme baumeln, kam wieder hoch. Tat verdammt gut. Sport war ihr auch mal sehr wichtig gewesen.
Als sie zu Hause ankam, war Helmut schon da. »Wo, um Himmels willen, warst du denn?«
»Joggen.«
»Klar, Joggen, hätte ich drauf kommen müssen. Machst du ja schließlich auch jeden Tag.«
Es sollte frotzelnd klingen, aber sein Blick war vorsichtig. Ihr war elend, sie war den ganzen Tag zickig zu ihm gewesen. Sie umarmte ihn, er hielt sie ganz fest, dann strich er ihr zwei feuchte Locken aus der Stirn. »Kannst du nicht öfter mal joggen? Du siehst verdammt verführerisch aus.« Sie lachte. »Bloß riechen tu ich nicht so.«
Er ließ sie los, stupste sie. »Geh duschen. Ich backe uns Pfannkuchen. Hab bei einem Bauern an der Hamstraße Kirschen gekauft.«
Astrid schaffte anderthalb Kuchen, dann gab sie auf. »Keiner kann so gute Obstpfannkuchen wie du. Hast du das bei deiner Mutter gelernt?«
»Nö, hab ich mir selbst beigebracht. Aus dem Kochbuch.« Jetzt schob auch er seinen Teller weg. »War es schwierig, den Haftbefehl für Maywald zu kriegen?«
»Eigentlich nicht.« Sie goß sich noch einmal Milch ein.
»Wenn’s nur um die Betrugsgeschichte gegangen wäre, hätte ich wohl keine Chance gehabt. Aber irgendwie hängt er ja doch bei den toten Babies mit drin. Schließlich sollte er die Kinder abholen. Und außerdem war er am Kartenspielerweg. Das konnte ich dem Richter schon beibiegen. War übrigens ein neuer. Hermsen oder Hermanns. Kannte ich jedenfalls nicht.«
»Hast du Lowenstijn erreicht?«
»Nur einen seiner Kollegen. Die kommen morgen früh um neun, und dann kann’s losgehen. Bin gespannt, was Maywald uns erzählen wird.«
Toppe nickte nachdenklich. Wieviel hatten sie in der Hand?
32
Ackermann war schon im Büro, als die anderen kamen, schaute sie grimmig an. So kannte ihn keiner.
»Hab die ganze Nacht kein Auge zugekricht, bloß gegrübelt. Montach is’ mein Urlaub vorbei.«
»Ja und?« Van Appeldorn verstand nicht. »Meiner doch auch.«
Aber Ackermann hörte sowieso nicht hin. Er sah Toppe an. »Ich hab gesacht, ich find den Kerl, der Günther auf dem Gewissen hat, und wat hab ich gefunden? ’n Scheiß Kinderhändler! Der interessiert mich doch ga’ nich’. Aber diese Nacht sind mir so ’n paar Sachen eingefallen, wo ich noch suchen könnt. Wenn ich also freie Hand hab, Chef.«
Toppe nickte. »Sicher, aber was …?«
»Nix! Da sach ich noch nix drüber. Nachher heißt et bloß wieder: der spinnt doch, der Ackermann. Aber da war noch wat.« Er druckste rum, sah richtig unglücklich aus.
»Ich muß dat jetz’ einfach von euch wissen. Ich hätt’ gern die Stelle von Günther hier bei euch un’ wollt mich bewerben. Meint ihr, dat is’ pietätlos?«
Bis auf Toppe sahen alle ganz schön entgeistert aus. Ackermann hechtete zur Tür. »Könnter ja ma’ drüber nachdenken.«
»Nur über meine Leiche«, sagte van Appeldorn mit brechender Stimme, aber das hörte Ackermann schon nicht mehr.
Lowenstijn kam mit einem Assistenten. Auch heute trug der Holländer einen teuren Leinenanzug
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