Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
wusste, dass er nicht einfach gegen sie kämpfen konnte.
Er war zu müde und konnte nicht mehr klar denken. Er hatte
sich die Gelegenheit entgehen lassen, die beiden Söldner zu
töten, die aufgewacht waren, und vielleicht auch die anderen
drei umzubringen, bevor sie in Deckung gehen konnten. Er hatte
einen Fehler gemacht, und das konnte ihn das Leben kosten.
Er nahm hinter sich eine Bewegung wahr und wusste, dass
zumindest einer der Söldner im Stande war, einer Spur zu
folgen. Er entdeckte einen Felskamm, der sich etwa hundert
Schritt weit erstreckte, bevor er zu hoch wurde, um hinaufklettern zu können, und er sprang darauf. Wie auf einem Seil
eilte er dort entlang, so schnell er konnte, und als er die Stelle
erreichte, wo es zu steil wurde, sprang er wieder hinunter und
versteckte sich.
Er legte einen anderen Pfeil an die Sehne und wartete.
Der Mann, der ihn verfolgte, war gut, das musste er nach
ein paar Minuten des Wartens zugeben. Er hörte und sah
nichts.
Er wartete weiter.
Nachdem ein paar Minuten vergangen waren, veränderte
sich etwas. Es war schwierig, genau zu sagen, was es war,
aber die Geräusche im Wald – das Rauschen der Blätter, das
kaum lauter war als ein Flüstern, das Fallen von Blättern und
Nadeln – veränderten sich.
Tal wusste, dass es nicht wichtig war zu verstehen, was
sich da genau verändert hatte, aber es bedeutete auf jeden
Fall, dass er nicht mehr allein war. Er duckte sich hinter den
Felsen und schnupperte, hielt nach Schatten Ausschau, die
nicht hierher gehörten, lauschte nach allem, das ihm verraten
würde, wo sich sein Verfolger aufhielt.
Die Zeit schien sich endlos zu dehnen, aber Tal wusste, der
Mann, der ihn verfolgte, spielte das gleiche Spiel und wartete
nur darauf, dass er einen Fehler machte.
Dann hörte er ein leises Geräusch – das kaum wahrnehmbare Knirschen einer Stiefelsohle auf Stein –, sprang auf und
fuhr herum. Einen Augenblick konnte er das Gesicht seines
Feindes erkennen. Die Zeit stand still, als Tal seinen Fingern
befahl, den Pfeil loszulassen, und in diesem Augenblick war
er im Stande, Einzelheiten wahrzunehmen, die er sich noch
einen Moment zuvor nicht hätte vorstellen können. Das Haar
des Mannes war schwarz und staubig, weil er sich irgendwann
zu Boden geworfen hatte – vielleicht, weil er einen weiteren
Pfeilschuss befürchtete, nachdem Tal den Wachposten getötet
hatte. Er hatte dunkle Haut, und auch seine Augen waren beinahe schwarz, also waren seine Ahnen wahrscheinlich Keshianer gewesen. In diesen Augen stand nun so etwas wie Erkennen, eine Mischung aus Angst und Resignation, als der
Pfeil Tals Bogen verließ. Der Mann spannte die Muskeln an,
als wollte er schreien oder sich bewegen, aber bevor er das
tun konnte, traf ihn der Pfeil in die Kehle.
Der Mann riss die Augen auf, dann verschwand das Licht
aus ihnen, bevor er aus Tals Blickfeld sackte.
Tal kletterte über die Felsen und untersuchte den Mann rasch.
Er hatte nur seine Waffen dabei. Tal behielt seinen eigenen Bogen, nahm aber zusätzlich die Pfeile des Spurenlesers mit.
Als er sich umsah, ob die anderen Söldner ebenfalls in der
Nähe waren, konnte er nichts entdecken, und auch angestrengtes Lauschen blieb erfolglos.
Er ließ den Toten für die Aasfresser liegen und eilte davon.
Nun waren es nur noch vier.
Tal schlief. Er hatte eine kleine Schlucht gefunden, die ein
Bach in den Waldboden geschnitten hatte, und sein Pferd dort
angebunden. Es würde ausgesprochenes Glück oder einen
hervorragenden Spurenleser brauchen, um ihn dort zu finden.
Tal vertraute auf sein Glück, und er war sicher, Ravens besten
Fährtensucher bereits getötet zu haben.
Außerdem nahm er an, dass Raven nur ein oder zwei Stunden warten würde, bevor er mit seinen verbliebenen Gefährten
weiter nach Süden floh. Nach allem, was der Söldnerhauptmann wusste, könnte Tal auch ein Späher gewesen sein, und
dann wäre durchaus zu befürchten, dass zwanzig OrodonKrieger schon auf dem Weg waren, um Raven zu überwältigen.
Tal hatte in den Beutel mit Vorräten geschaut, den ihm die
Frau am Vorabend gegeben hatte, und dort Hartkäse gefunden,
Brot, das beinahe ebenso hart war, und Trockenobst. Eine sättigende Mahlzeit, wenn es auch nach nichts schmeckte. Er aß
alles, denn er wusste, dass es ein Fehler wäre, jetzt die Lebensmittel zu rationieren. Er hatte noch genug Zeit, vor Hunger
ohnmächtig zu werden, nachdem er Raven getötet hatte.
Er war entschlossen gewesen, sich ein
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