Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
weit sein
Pferd ihn tragen kann.«
Tal sah sich um, und nun wurden auch Einzelheiten deutlicher. Ein Dutzend Feinde lag auf den Knien, die Hände auf
dem Rücken gefesselt. Die toten Feinde wurden zu einem Platz
nahe dem Tor gebracht und aufgestapelt wie Klafterholz.
Mehrere Frauen weinten, denn sie hatten ihre Männer tot
gefunden, und mehr als ein Mann weinte um seine Frau.
Jasquenel näherte sich ehrfürchtig. »Du hast mein Volk gerettet, Talon Silverhawk.«
Er sprach auf Orodon, damit John Creed es nicht verstehen
konnte, aber die Dankbarkeit schwang deutlich in der Stimme
des Mannes mit.
»Ich habe geholfen, mein eigenes Volk zu rächen«, entgegnete Tal in der Sprache der Orosini. Dann sagte er in der
Händlersprache: »Ich brauche ein Pferd.«
»Sofort«, erwiderte Jasquenel. Er befahl einem Jungen, Tal
ein Pferd zu holen.
»Was hast du vor?«, fragte Creed.
»Ich werde Raven verfolgen«, erklärte Tal.
»Du bist von diesem Schlag auf den Kopf noch durcheinander. Es ist Nacht, und er wird eine halbe Stunde Vorsprung
haben, bis du das Dorf verlässt, und wahrscheinlich ist er
nicht allein.«
Tal nickte. »Ich weiß, aber ich kann ihn zumindest verfolgen.«
»Verfolgen? Nachts, hier im Gebirge?«
Jasquenel starrte Creed an. »Wenn er sagt, er kann ihn verfolgen, dann kann er das.«
»Soll ich mitkommen?«, fragte John Creed.
»Nein. Du würdest mich nur aufhalten.« Tal legte Creed
die Hand auf die Schulter. »Danke für alles, John. Ich wäre
nicht in der Lage gewesen, diesen Leuten zu helfen, wenn du
mich nicht beraten hättest.«
»Gern geschehen, Tal. Du bist ein guter Hauptmann. Wenn
du dich je entscheiden solltest, noch einmal eine Truppe zu
führen, lass es mich wissen. Ich bin immer gern bereit, unter
einem Mann zu dienen, der keine Angst hat, an der Spitze zu
stehen.«
»Meine Söldnertage sind vorüber. Das hier war eine einmalige Sache. Im Gepäckwagen findest du einen kleinen Beutel mit Goldmünzen. Teile es unter den Männern auf, wie es
dir passt, und behalte etwas mehr davon für dich. Und spiele
wenigstens lange genug Hauptmann, um die Jungs wieder
nach Latagore zu bringen, ja?«
»Das werde ich schon schaffen.« Creed zeigte auf das Dutzend Gefangene. »Was machen wir mit denen?«
»Was macht ihr normalerweise mit Söldnern der Gegenseite, die sich ergeben?«
»Wenn es uns überlassen wird, lassen wir sie gegen das
Versprechen gehen, dass sie nicht gegen uns kämpfen werden,
aber für gewöhnlich entscheiden die Auftraggeber.«
Tal wandte sich an Jasquenel. »Das da sind die Männer,
die mein Volk getötet haben. Sie hätten eure Häuser niedergebrannt und eure Frauen und Kinder gnadenlos umgebracht.
Du entscheidest.«
Jasquenel zögerte nicht. Er schaute die Krieger an, die die
Gefangenen bewachten, und befahl: »Tötet sie.«
Bevor die Gefangenen auch nur versuchen konnten aufzustehen, hatte man bereits jedem von ihnen den Kopf zurückgerissen und die Kehle durchgeschnitten.
Jasquenel warf Creed und Tal einen Blick zu und erklärte:
»Das ist nur gerecht. Sie erhalten die gleiche Gnade, die sie
uns gewährt hätten.«
Creed schien das nicht so recht zu gefallen, aber er nickte.
»Niemand hier hat viel für Ravens Leute übrig, aber ein paar
von den Jungs werden das nicht mögen. Wir machen uns lieber gleich morgen früh auf nach Süden.«
Der Junge brachte das Pferd, und Tal stieg auf und sagte:
»Ich brauche einen vollen Wasserschlauch.«
Eine Frau lief zu ihrer Hütte und kehrte einen Augenblick
später mit einem vollen Schlauch zurück. Sie reichte Tal auch
ein Bündel. »Essen, für die Jagd.«
Tal nickte. Er griff nach seinen Waffen – Schwert und Bogen – und nahm sich einen vollen Köcher. Er winkte, dann
drückte er dem Pferd die Fersen in die Flanken und galoppierte in die Nacht hinaus.
Einundzwanzig
Jagd
Tal hielt inne.
Er hatte sein Pferd heftig angetrieben, und nun ließ er das
Tier eine kurze Pause machen. Seit er das Dorf Queala verlassen hatte, war er dreimal abgestiegen, um sich zu überzeugen,
dass er Ravens Spur nicht verloren hatte.
Wie er angenommen hatte, hatte Raven dem Tempo den
Vorzug vor der Geheimhaltung gegeben und sich an den
Hauptweg nach Süden gehalten, die direkteste Route nach
Küstenwacht. Tal spähte nach Osten, wo die Sonne den Himmel schon stahlgrau färbte, bevor sie selbst erschien, und
wusste, dass die Morgendämmerung nur noch Minuten entfernt war. Er nahm an, dass Raven ein Lager aufschlagen,
einen Wachposten
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