Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
versprichst.«
Robert zuckte mit den Schultern. »Dein Vater hat mir, als
ich noch jung war, vieles beigebracht, aber die wichtigste
Lektion bestand einfach darin zu sehen, wie es bei euch zu
Hause zuging. Eure Insel hat Wesen Zuflucht und Ausbildung
geboten, die ich mir in meinen verrücktesten Träumen nicht
hätte ausmalen können.« Er zeigte auf die Küche. »Dieser
Junge da wird vielleicht nur ein wertvoller Diener sein – oder
ein gut gearbeitetes Werkzeug.« Er kniff die Augen zusammen. »Aber er könnte auch etwas erheblich Wichtigeres werden: ein unabhängiger Geist, der loyal zu unserer Sache
steht.«
Magnus schwieg lange Zeit. Dann sagte er: »Das bezweifle
ich.«
Robert lächelte freundlich. »Wir hatten auch unsere Zweifel, was dich anging, als du jünger warst. Ich erinnere mich an
einen gewissen Vorfall, nach dem man dir Hausarrest erteilen
musste … wie lange war das, eine Woche?«
Magnus lächelte dünn. »Es war nicht meine Schuld, erinnerst du dich?«
Robert nickte nachlässig. »Das war es doch nie.«
Magnus blickte in Richtung Küche. »Aber was ist nun mit
dem Jungen?«
»Er muss noch viel lernen«, sagte Robert. »Logik ist nur
ein Anfang. Er muss verstehen lernen, dass man selbst die
wichtigsten Dinge im Leben als ein Spiel betrachten kann,
und er muss dazu ein gewisses Gefühl für Risiken und Chancen entwickeln und dafür, wie man sie berechnet. Er muss
lernen, wann man einem Konflikt lieber den Rücken zuwenden und wann man weiterpreschen soll. Er muss das Spiel von
Männern und Frauen lernen – wusstest du, dass die Bräuche
seines Volkes verlangten, dass sein Vater ihm seine zukünftige Frau suchte, während er selbst auf einem Berggipfel auf
die Vision wartete, die ihn zum Mann machen sollte?«
»Ich weiß nur wenig über die Orosini«, sagte Magnus.
»Er weiß nichts, aber auch gar nichts über Städte; er hat
keine Ahnung von Lügen und Heimtücke, also hat er überhaupt keinen Instinkt dafür, ob ihn jemand belügt. Aber er hat
ein Gefühl für die Natur, wie es sonst nur die Pfadfinder aus
Natal haben.«
»Caleb sagte, dass er vollkommen anders jagt als jeder
Städter«, stimmte Magnus zu.
»Dein Bruder hat viele Jahre bei den Elben zugebracht; er
weiß, wovon er redet.«
»Also gut.«
»Unser Freund Talon bietet uns einfach eine Möglichkeit,
und vielleicht ist er dadurch einzigartig. Und er ist jung genug, dass wir ihn eventuell zu etwas erziehen können, was nur
wenige von uns sein können.«
»Und das wäre?«, fragte Magnus eindeutig interessiert.
»Ein Mann, der nicht durch seine Herkunft eingeschränkt
ist. Talon ist immer noch in der Lage zu lernen, während die
meisten von uns in seinem Alter bereits überzeugt waren, dass
wir alles wüssten.«
»Er scheint ein eifriger Schüler zu sein«, gab Magnus zu.
»Und er hat ein Ehrgefühl, das selbst einen Hauptmann mit
Tsurani-Abstammung aus LaMut beschämen würde.«
Magnus zog die Brauen hoch. Tsurani-Abkömmlinge folgten dem strengsten Ehrenkodex, den man sich vorstellen
konnte. Sie würden sterben, um eine Ehrenschuld zu zahlen.
Er überlegte einen Moment, ob Robert vielleicht übertrieb,
und erkannte dann, dass das nicht der Fall war. »Ehre kann
manchmal nützlich sein.«
»Er hat bereits eine Mission, obwohl er das erst noch begreifen muss.«
»Mission?«
»Er ist Orosini. Er muss die Männer, die für die Vernichtung seines Volkes verantwortlich sind, finden und töten.«
Magnus seufzte tief. »Raven und seine Bande von Halsabschneidern. Das ist keine leichte Aufgabe.«
»Der Junge ist jetzt schon ein hervorragender Jäger. Wenn
er bereit ist, wird er sie suchen. Für diesen Zweck will ich ihm
bessere Waffen geben als seine bloßen Hände und seine angeborene Klugheit. Und daher gibt es vieles, was wir ihm beibringen müssen – wir beide.«
»Er ist nicht zur Magie begabt, nehme ich an, sonst hättest
du ihn zu Vater geschickt, statt ihn hierher zu bringen.«
»Das stimmt, aber auch du hast außer den Fähigkeiten eines Magiers noch andere Talente, Magnus. Das hier ist kein
Scherz. Talon hat einen beweglichen Geist, und es gibt noch
erheblich kompliziertere Arten, das Denken zu disziplinieren,
als es mit Kartenspielen erreicht werden könnte. Wenn er uns
dienen soll, muss er geistig und intellektuell ebenso zäh werden, wie er es körperlich bereits ist. Er mag kein Magier sein,
aber er wird mit Magie zu tun bekommen, und er wird Wesen
gegenüberstehen, die in Sachen Betrug,
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