Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 1
waren Jäger,
Bauern, Dichter und Krieger, aber ihre Mathematik war sehr
schlicht, und es fehlte ihnen an allen Disziplinen, die auf fortgeschrittener Logik basieren. Ja, es gab Baumeister, aber keine Ingenieure und viel weniger Magier als bei jedem anderen
Volk, von dem ich je gehört habe – vielleicht einen oder zwei
im ganzen Land der Orosini.«
Sie sprachen in der Sprache des Königreichs, damit Talon
sie nicht verstehen konnte – und Robert ging davon aus, dass
der Junge ein sehr gutes Gehör hatte.
»Die Spiele sollen ihm also Logik beibringen?«
Robert nickte. »Sie wären zumindest ein Anfang. Es geht
dabei um sehr grundlegendes Lösen von Problemen.«
Magnus hatte den Blick auf die Karten auf dem Tisch gerichtet. »Ich kenne dieses Spiel, Robert. Du hast es mir beigebracht, erinnerst du dich? Es ist recht schwierig, und er wird
nicht oft gewinnen.«
Robert lächelte. »Es geht nicht ums Gewinnen. Es geht
darum zu erkennen, wann man nicht gewinnen kann. Siehst
du, er hat erkannt, dass diese vier Karten bedeuten, dass er es
nicht schaffen wird.« Sie sahen zu, wie Talon die meisten
Karten wieder auflas, die Lords aber an Ort und Stelle ließ
und mit einem neuen Spiel begann. »Anfangs musste er noch
alle Karten durchgehen, bis er begriffen hat, dass er nicht gewinnen kann. Nun, kaum zwei Tage später, erkennt er die
subtileren Anzeichen dafür, dass ein Sieg unmöglich ist.«
»Nun gut. Er hat also Potenzial, vielleicht sogar ein gewisses Talent. Das beantwortet immer noch nicht die Frage, was
du eigentlich mit dem Jungen vorhast.«
»Immer mit der Ruhe, mein ungeduldiger Freund.« Er warf
einen Blick auf Magnus, der Talon mit starrer Miene beobachtete. »Es wäre besser, wenn du die Lebhaftigkeit deines
Vaters geerbt hättest als die aufbrausende Art deiner Mutter.«
Der weißhaarige Mann wandte den Blick nicht von Talon
ab, aber er lächelte. »Das habe ich von dir schon öfter gehört,
alter Freund.« Dann schaute er Robert an. »Aber ich lerne
immer besser, mich zusammenzunehmen.«
»Ach, hast du in den letzten paar Wochen keine Stadt zerstört?«
Magnus grinste. »Nicht, dass ich wüsste.« Dann wurde
seine Miene wieder ernst. »Ich habe einfach Probleme mit all
diesen Spielchen.«
»Ah«, sagte Robert. »Und damit erweist du dich erneut als
Sohn deiner Mutter. Dein Vater hat mir mein ganzes Leben
lang beigebracht, dass wir nur mit unseren Feinden umgehen
können, wenn sie sich zeigen. In den letzten dreißig Jahren
gab es unglaublich viele Angriffe auf uns. Und in dieser ganzen Zeit ließ sich nur eine einzige Konstante feststellen.«
»Und die wäre?« Magnus wandte die Aufmerksamkeit
wieder Talons Spiel zu.
»Dass der Feind keinen Trick zweimal angewandt hat. Die
Diener des Namenlosen sind schlau, und sie lernen aus ihren
Fehlern. Rohe Gewalt hat versagt, also versuchen sie nun, ihre
Ziele mit Tücke zu erreichen. Und wir müssen entsprechend
tückisch reagieren.«
»Aber dieser Junge …«
»Ich glaube, das Schicksal hat ihn aus einem bestimmten
Grund am Leben erhalten«, sagte Robert. »Oder zumindest
versuche ich, mir eine unerwartete Möglichkeit zunutze zu
machen. Talon hat … etwas an sich. Ich nehme an, wenn sich
diese Tragödie mit seinem Volk nicht ereignet hätte, wäre er
einfach ein weiterer durchschnittlicher Orosini-Mann geworden, Ehemann und Vater und auch Krieger, wenn das nötig
geworden wäre; ein Bauer, Jäger und Fischer. Er hätte seinen
Söhnen beigebracht, so zu leben, wie es schon ihre Ahnen
getan haben, und wäre in hohem Alter als zufriedener Mann
gestorben.
Aber nimm denselben Jungen und wirf ihn in einen
Schmelztiegel von Unglück und Elend, und wer weiß, was
sich daraus schmieden lässt? Es ist, als würde man Eisen bearbeiten – wird er spröde werden und leicht gebrochen werden
können, oder kann man ihn zu Stahl schmieden?«
Magnus schwieg, während Talon ein weiteres Spiel begann. »Ein Dolch, ganz gleich wie gut geschmiedet, hat zwei
Schneiden, Robert. Er kann in beide Richtungen verwendet
werden.«
»Hör auf, mir beibringen zu wollen, was ich längst weiß,
Magnus.«
Dann fiel er wieder ins Roldemische und wandte sich an
Talon: »Talon, das genügt. Es ist Zeit, dass du in die Küche
zurückkehrst. Leo wird dir sagen, was du tun sollst.«
Talon steckte die Karten in eine kleine Schachtel und
reichte sie Robert, dann eilte er in die Küche.
Magnus sagte: »Ich bin immer noch nicht sicher, was du
dir von diesem Jungen
Weitere Kostenlose Bücher