Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 2
Dienst von Herzog Kaspar
von Olasko, Amafi.«
Der ehemalige Meuchelmörder grinste, und einen
Augenblick lang hatte er etwas Wölfisches an sich.
Dann sagte er: »Also beginnt unser Aufstieg zur
Größe!«
»Ja«, sagte Tal, aber er spürte, dass stattdessen ein
Abstieg in die Dunkelheit vor ihnen lag.
Das Schiff warf sich in die rollenden Brecher, und
eine steife Brise trieb es auf die großartigste Stadt zu,
die Tal jemals gesehen hatte. Nein, dachte er, großartiger, als er sich je hätte vorstellen können.
Rillanon zeichnete sich vor den Hügeln ab, ein
hinreißendes Gebilde aus buntem Stein und anmutigen Bögen. Die Spätnachmittagssonne umriss die
Linien mit gleißender Helligkeit, die mit tiefem
Schatten kontrastierte. Tal hatte von der Geschichte
dieser Stadt gehört und wusste, dass der verrückte
König Rodric IV befohlen hatte, Rillanon vollständig
neu zu erbauen und jede trübselige Fassade durch
geschnittenen Stein in bunten Farben zu ersetzen.
Die Könige Lyam, Patrick und nun Ryan hatten das
Projekt fortgesetzt, und inzwischen war beinahe jedes Gebäude in der Hauptstadt des Königreichs der
Inseln von strahlendem Glanz. Rillanon war eine
Stadt aus Marmor und Granit, und sie schimmerte
weiß und rosa, gelb und bernsteinfarben, mit Spuren
von Lila, Grün, Rot und Blau, die überall eingestreut
waren. Je näher sie kamen, desto mehr Einzelheiten
waren zu erkennen, und sowohl Tal als auch Amafi
standen stumm staunend im Bug von Herzog Kaspars Schiff Delfin.
Eine Stimme hinter ihnen fragte: »Ist das Euer erster Besuch hier, Junker?«
Tal drehte sich zum Herzog um und verbeugte
sich, bevor er antwortete. »Ja, Euer Gnaden.«
Amafi trat diskret beiseite und gab seinem Herrn
und dem Herzog die Gelegenheit zu einem privaten
Gespräch.
»Ich stehe niemandem nach, was Stolz auf meine
Heimat angeht, Junker«, sagte der Herzog. »Und Opardum ist auf seine Art eine großartige Stadt. Aber
ich gebe zu, dass besonders auf den ersten Blick keine Stadt Rillanon gleichkommt.«
»Ich kann Euch nur zustimmen, Euer Gnaden. Ich
hatte zwar schon in Büchern darüber gelesen …« Tal
zwang sich, sich an seine Rolle zu erinnern. »Als ich
Schüler war, bestand mein Vater darauf, dass ich
mich mit der Geschichte des Königreichs vertraut
mache. Also habe ich auch einiges über Rillanon gelesen. Aber das hier … das lässt sich nicht beschreiben.«
»Ja, nicht wahr?« Herzog Kaspar lachte leise.
»Wenn man gegen das Königreich der Inseln Krieg
führte, wäre es eine Schande, ein solches Wunder
zerstören zu müssen. Es wäre erheblich besser, die
Bewohner zum Aufgeben zu zwingen, denkt Ihr
nicht auch?«
Tal nickte. »Obwohl ich es für die klügere Entscheidung hielte, erst gar keinen Krieg anzufangen.«
»Es gibt auch andere Möglichkeiten, einen Kampf
zu gewinnen. Es braucht nicht unbedingt einen bewaffneten Konflikt«, sagte der Herzog. Er schien ebenso sehr mit sich selbst zu sprechen wie mit Tal.
»Es gibt Menschen, die behaupten, Krieg sei das Ergebnis diplomatischen Versagens, während andere
ihn nur für ein weiteres diplomatisches Werkzeug
halten; ich bin kein Gelehrter und kann deshalb nicht
feststellen, ob es zwischen diesen Positionen wirklich einen Unterschied gibt.« Er drehte sich um und
lächelte Tal an. »Und jetzt geht in Eure Kabine und
zieht Eure besten Sachen an. Wir werden heute Abend
im Palast des Königs speisen.« Er warf einen Blick zu
den Segeln. »Ich nehme an, wir sind nicht einmal
mehr eine Stunde vom Hafen entfernt, und wir werden direkt den königlichen Kai anlaufen können.«
Tal ging unter Deck und tat, was man ihm gesagt
hatte, und als er bereit war, sich bei Hof zu präsentieren, hörte er ein Klopfen an der Tür. Amafi öffnete
und stellte fest, dass ein Schiffsjunge vor der Tür
stand. »Ja?«
»Der Herzog lässt ausrichten, dass Ihr zu ihm an
Deck kommen sollt.«
»Sofort«, sagte Tal. Er zupfte rasch seine neue Jacke zurecht und griff nach dem Hut – er hatte sich
die Jacke kurz vor der Abreise aus Roldem schneidern lassen. In der Woche vor ihrer Abfahrt hatte er,
wie Kaspar vorgeschlagen hatte, ziemlich zurückhaltend gelebt und öffentliche Orte gemieden. Es zählte
ohnehin kaum, denn er war nirgendwo mehr eingeladen worden, nachdem er Prinz Matthew gedemütigt
hatte. Kaspar hatte den Prinzen wohl tatsächlich informiert, dass der Junker nun unter seinem Schutz
stand, denn es hatte keinen Versuch der Vergeltung
gegeben, zumindest
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