Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 2
Schönheit lag. Es hatte einen Korbgriff aus Silberfiligran, und die Klinge war aus dem besten Stahl, den
Tal je gesehen hatte. »Es stammt aus unserer
Schmiede in Rodez«, sagte der König. »Man behauptet allgemein, dass dort die besten Klingen der Welt
hergestellt werden, und wir halten das hier für eine
angemessene Waffe für einen Meister des Schwertkampfs.«
Tal nahm das Schwert und die kunstvolle Scheide
entgegen, die ein anderer Page ihm reichte, und sagte: »Majestät, ich bin überwältigt.«
»Wir haben gehört, dass Ihr in den Dienst unseres
Freundes Herzog Kaspar eingetreten seid.«
»Ja, Majestät, das bin ich.«
Der König lehnte sich zurück. Jetzt lächelte er
nicht mehr. »Dient ihm gut, aber falls die Zeit und
das Schicksal Euch irgendwann wieder in Eure Heimat zurückführen, Junker, solltet Ihr wissen, dass es
hier einen Platz für Euch gibt.« Mit einem Seitenblick auf Kaspar fügte der König hinzu: »Wir können
in unseren Diensten stets einen Schwertkämpfer gebrauchen, besonders einen so begabten.«
Tal nickte, und der König entließ ihn mit einem
Winken. Tal folgte dem Pagen zurück zu seinem
Platz am Tisch, aber die letzten Worte des Königs
hatten die Stimmung im Raum wieder verfinstert.
Als er sich hinsetzte, dachte Tal noch einmal über
Prohaskas Worte nach und war gezwungen zuzustimmen: Das hier war keine festliche Gala – es war
ein Kriegsrat.
Sechs
Rillanon
Tal beobachtete.
Er stand auf einem Balkon nahe den königlichen
Gemächern. Man hatte ihn gebeten, dort auf Herzog
Kaspar zu warten, der sich mit dem König traf. Unter
ihm erstreckte sich die Stadt, und wieder war Tal von
ihrer Größe und von ihrer Schönheit schier überwältigt. Er hätte gerne Zeit gehabt, sie zu erforschen,
und wenn er nicht in Kaspars Dienst gestanden hätte,
hätte er auch genau das getan. Aber als Gefolgsmann
des Herzogs musste er zunächst die Befehle seines
Herrn abwarten.
»Eine schöne Aussicht, nicht wahr?«, erklang eine
vertraute Stimme.
Als er sich umdrehte, sah er Lady Natalia auf sich
zukommen, also verbeugte er sich: »Das ist wahr,
Mylady.«
»Mein Bruder wird bald herkommen, und er hat
sicher etwas für Euch zu tun.«
Tal war in Gegenwart von Frauen selten nervös,
aber seit der Nacht nach der Jagd hatte er sich gefragt, was er von Natalia erwarten sollte, beziehungsweise, was sie von ihm erwartete.
Als hätte sie seine Gedanken gelesen, lächelte sie
und kam näher. Sie berührte ihn leicht an der Wange
und sagte: »Macht Euch keine Gedanken, Tal. Wir
haben eine schöne Nacht miteinander verbracht, aber
es war nicht mehr als das. Ich bin ein Werkzeug des
Staats und damit ebenso ein Werkzeug meines Bruders, wie Ihr es seid. Er hat Pläne für mich. So besteht keine Notwendigkeit, dass Ihr mir gegenüber
irgendwelche Erklärungen abgebt.«
Tal grinste. »Es war nicht unbedingt die Frage
nach einer Erklärung, die mich beunruhigt hat, Mylady. Ich habe mir nur überlegt, ob ich beiseite geschoben wurde oder … ob meine Aufmerksamkeit
noch einmal gewünscht wird.«
Sie wartete einen Moment, dann sah sie ihn wieder
an. »Wie komme ich nur auf den Gedanken, dass es
Euch recht unwichtig ist, wie ich mich entscheide?«
Tal ergriff ihre Hand. »Das ist nicht wahr, Mylady
Ihr seid unter Frauen ohnegleichen.« Mit dieser Aussage kam er der Wahrheit recht nahe, denn er hatte
nicht viele so leidenschaftliche Frauen wie Natalia
kennen gelernt.
»Lügner. Ihr benutzt Frauen, wie ich Männer benutze. Wir sind einander zu ähnlich, Tal. Habt Ihr je
geliebt?«
Tal zögerte, dann sagte er: »Das dachte ich einmal.
Ich habe mich geirrt.«
»Ah«, sagte Natalia. »Ihr seid also gegen die Liebe
gewappnet, weil man Euch das Herz gebrochen hat?«
Tal gab sich unbeschwert. »Wenn es Euch gefällt,
so zu denken, könnt Ihr das gerne tun.«
»Ich glaube manchmal, es wäre das Beste, gar kein
Herz zu haben. Wie zum Beispiel Lady Rowena. Ihr
scheint irgendetwas zu fehlen.«
Tal konnte ihr innerlich nur zustimmen. Er kannte
Lady Rowena gut, denn sie war es gewesen, die sein
Herz gebrochen hatte – die brutalste Lektion, die das
Konklave ihm erteilt hatte. Alysandra, wie man sie
dort nannte, fehlte tatsächlich das Herz. Sie hatte Tal
zutiefst verwundet.
»Ich werde einmal aus Staatsgründen heiraten. Also suche ich mein Vergnügen, wo ich kann.« Sie
hielt einen Augenblick inne, dann fragte sie: »Was
haltet Ihr von diesem jungen König?«
»Ah«, erwiderte Tal,
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