Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 2
einem Schwert in der Hand zu
töten und ihm davor noch zu sagen, wer er war. Er
hatte sich ausgemalt, wie er mitten in der Nacht in
die Gemächer des Herzogs eindrang und dabei die
Dienerflure benutzte, um an den Wachen vorbeizukommen. Nun sah es so aus, als gäbe es noch eine
weitere Möglichkeit.
Er war geradezu in Hochstimmung, als er zu seinen Gemächern zurückschlich.
Tal saß in stummem Staunen da, als die Diener den
Bären brachten. Der Herzog hatte ihn in Roldem zum
Ausstopfen gegeben, und er war am Tag, bevor Kaspar und seine Begleiter von ihrem letzten Jagdausflug zurückgekehrt waren, geliefert worden. Der Bär
stand auf den Hinterbeinen, das Maul zu einem wilden Fauchen verzogen. Die versammelten Adligen
und privilegierten Bürgerlichen von Opardum starrten das Geschöpf mit großen Augen an.
»Meine verehrten Herrschaften«, begann der Herzog, »als dieses Tier sich zum letzten Mal auf solche
Weise auf die Hinterbeine erhob, lag ich zu seinen
Füßen, und es bereitete sich darauf vor, mich zu zerreißen. Ohne das rasche und heldenhafte Einschreiten
des neuesten Mitglieds des Hofes wäre ich heute
nicht hier. Meine Freunde, ich verdanke mein Leben
Talwin Hawkins.«
Er bedeutete Tal aufzustehen, und der Junker erhob sich unter begeistertem Applaus. Sobald es die
Höflichkeit zuließ, setzte er sich wieder hin.
Kaspar fuhr fort: »Dieser Bär wird mit den anderen Jagdtrophäen in der Trophäenhalle stehen, und
eine Plakette wird von Junker Hawkins’ Verdienst
berichten. Und nun lasst uns mit den Festivitäten
fortfahren.«
Die Gäste begannen sich wieder leise zu unterhalten. Der Offizier neben Tal, ein Leutnant namens
Adras, sagte: »Das war wirklich Glück, Junker. Keiner steigt so schnell auf wie ein Mann mit Glück.«
Tal nickte. Natalia warf ihm einen Blick zu, während sie so tat, als lausche sie einem der älteren Berater des Herzogs, der ihr eine Geschichte erzählte. Sie
bedachte Tal mit einem raschen Lächeln, dann wandte sie ihre Aufmerksamkeit wieder dem Höfling zu.
Der Leutnant sagte: »Immer mit der Ruhe, Junker.
Mylady ist dafür bekannt, dass sie … sagen wir mal,
sie bekommt immer, was sie will«, beendete er den
Satz mit einem leisen Lachen.
Tal starrte ihn an. »Tatsächlich?«
»Nicht, dass ich das aus erster Hand wüsste, Junker. Ich bin nur ein Kavallerieleutnant und gehöre
nicht einmal der Hausgarde an. Hin und wieder gestattet man einigen von uns, hier zu dinieren, aber ich
erwarte, dass ich frühestens in einem Jahr wieder
dran bin.« Er zeigte zum anderen Ende des Tisches,
wo Hauptmann Havrevulen saß, und sagte: »Unser
verehrter Hauptmann Quint ist der einzige Soldat im
Herzogtum, der davon träumt, diesen Preis zu gewinnen. Wir anderen begnügen uns damit, die Dame
zu bewundern.« Er lehnte sich zurück und sah Tal
abschätzend an: »Ihr, Junker, habt die adlige Abstammung, seid Sieger des Turniers der Meister und
– der Größe dieses Bären nach zu schließen – kein
schlechter Jäger. Da unser Herr und Meister nicht zu
übertriebenem Lob neigt, steht er zweifellos tief in
Eurer Schuld. Also habt Ihr eine Chance, so gering
sie auch sein mag, die Dame zu umwerben.«
»Die Dame ist der größte Schatz des Herzogs«,
wandte Tal ein. »Ich wette, sie wird denjenigen unter
den herrschenden Fürsten heiraten, der Olasko den
größten Vorteil bieten kann.«
Lachend sagte der Leutnant: »Ihr seid kein Landei,
Hawkins, das muss man Euch lassen.«
Das Bankett dauerte noch eine weitere halbe Stunde, und Tal ließ das Gespräch mit Leutnant Adras
hinter sich. Er wusste, wenn er seine Affäre mit Natalia fortsetzte, brachte er sich in Gefahr, aber sie abzuweisen würde ihm eine mächtige Feindin machen,
die dem Herzog sehr nahe stand.
Er warf einen Blick zu der schönen blonden Frau,
die links vom Herzog saß und sich angeregt mit einem der vielen anderen Höflinge unterhielt. Lady
Rowena hatte den Saal heute Abend an Kaspars Arm
betreten, und das war Tals erste Gelegenheit gewesen, sie zu sehen, seit er von den Inseln im Süden
nach Opardum zurückgekehrt war.
Sie war nicht anwesend gewesen, als er in die
Stadt kam – angeblich war sie unterwegs, um ihre
Familie zu besuchen. Tal wusste, dass sie keine Familie hatte und praktisch auf der Insel des Zauberers
aufgewachsen war, also fragte er sich, was sie in dieser Zeit wohl getan hatte. Er wusste, es wäre unmöglich, das herauszufinden. Sowohl er als auch seine
ehemalige Geliebte
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