Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 2
vor
diesem Bären gerettet hast! Du sprichst viele Sprachen, du kennst dich mit Essen und Wein aus, und
was tust du sonst noch? Kannst du musizieren?«
»Eher schlecht als recht«, gab Tal zu, während er
die Stiefel anzog.
»Was sonst?«
»Ich male ein wenig.«
»Dann musst du mein Porträt malen!«, sagte sie
vergnügt. »Siehst du, du bist so vieles, was die meisten Männer in meinem Leben nicht sind. Du bist
nicht langweilig. Ich langweile mich nie, wenn du
bei mir bist. Du solltest etwas wirklich Großes vollbringen, Talwin Hawkins, damit mein Bruder unserer
Heirat zustimmen muss. Geh, erobere ein Land oder
entthrone eine Dynastie für Kaspar.«
Tal lachte. Die ungewöhnlich romantische Stimmung der jungen Frau amüsierte ihn. »Dein Bruder
würde vielleicht zustimmen, wenn ich ihm eine Nation zu Füßen legen könnte. Aber solange das nicht
der Fall ist, müssen wir wohl planen, in der Zukunft
getrennter Wege zu gehen.«
Als er aufstehen wollte, sprang sie vor und schlang
ihm die Arme um die Schultern. »Aber erst in sehr
ferner Zukunft, Tal. Ich mag vielleicht nicht imstande sein zu lieben, aber wenn ich es könnte, wärst du
es, den ich lieben würde. Zutiefst und aus ganzem
Herzen.«
Einen kurzen, unangenehmen Moment lang wusste
Tal nicht, was er sagen sollte. Er hatte mit vielen
Frauen geschlafen, aber er behauptete nicht, sie darüber hinaus verstehen zu können. Das hier war etwas, dem er noch nie begegnet war. Natalia war anders als die anderen Frauen, die er gekannt hatte, und
er war nicht sicher, ob sie sich gerade einer Laune
hingab oder eine Andeutung auf etwas machte, das
tief in ihr begraben lag.
In der Hoffnung auf einen leichten Ausweg küsste
er sie und sagte dann: »Wenn eine Frau wie du einen
Mann wie mich lieben könnte, tief und aus ganzem
Herzen, dann wäre das etwas wirklich Bemerkenswertes. Es würde selbst den Göttern nicht entgehen.«
Sie sah ihn an und grinste. »Da magst du Recht
haben. Und jetzt sag mir eins, bevor du fliehst: Hast
du mit Fürstin Svetlana geschlafen, bevor du sie getötet hast?«
Plötzlich wusste Tal, dass er es jetzt mit der anderen Seite von Natalia zu tun hatte, der kalten, berechnenden, boshaften Seite. »Mylady?«
Natalia lachte. »Mach dir keine Gedanken, Tal.
Kaspar hat mir nur wenig erzählt, aber ich weiß genug, um die Anzeichen zu deuten und meine Schlüsse zu ziehen. Du darfst jetzt gehen.«
Tal verbeugte sich und eilte hinaus. Die Morgenschicht der Bediensteten war bereits an der Arbeit; in
weniger als einer Stunde würde das Gefolge des Herzogs aufstehen und nach dem Frühstück verlangen.
Er schlüpfte in seine eigenen Gemächer, wo Amafi
bereits wach war und mit Kleidung zum Wechseln
wartete, falls Tal sie brauchen würde. Tal machte
eine Geste in Richtung Badewanne. Das Wasser
dampfte, also wusste er, dass die Wanne gerade aufgefüllt worden war. Er roch nach Natalia und ihrem
Parfüm und wusste, dass das auffallen würde, falls er
heute anderen Angehörigen des Hofs zu nahe kam.
Als er sich ins Wasser gleiten ließ, sagte er zu
Amafi: »Sollte ich es je vergessen, erinnere mich bitte daran, dass Natalia auf ihre eigene Art ebenso gefährlich ist wie ihr Bruder.«
Amafi bedeutete Tal, sich nach vorn zu beugen,
damit er seinem Herrn den Rücken schrubben könnte. »Nein, Euer Wohlgeboren, sie ist gefährlicher.«
Tal sah keinen Grund zu widersprechen.
Tal blickte auf, als Amafi ins Zimmer kam. Der
Kammerdiener hatte Flecken auf der Kleidung, die
wie Blut aussahen. »Ihr Götter, was ist passiert?«
»Etwas Außergewöhnliches, Euer Wohlgeboren.
Rasch, zieht schlichte Kleidung an.«
Es war beinahe Mitternacht, und Tal war gerade
von einem späten Abendessen mit Kaspar und ein
paar anderen Angehörigen des Hofs zurückgekehrt.
Nach der Mahlzeit hatten sie begonnen, Geschichten
zu erzählen und sich zu betrinken, und außer Natalia
hatte für Stunden niemand den Tisch verlassen. Die
Dame hatte behauptet, müde zu sein, und Tal mit einem raschen Blick ihre Frustration mitgeteilt. Mit
einem ebenso raschen Schulterzucken hatte er geantwortet, dass da wohl nichts zu machen war und er
sie ein andermal besuchen würde.
Tal zog das Hemd und die enge Hose an, die er
beim Training auf dem Exerzierplatz trug. »Die Stiefel sind nicht geeignet«, sagte Amafi.
»Schlichtere hab ich nicht.«
»Dann kommt barfuss mit.«
Als Tal aufstand, nahm Amafi eine Hand voll Asche aus der Feuerstelle und rieb sie auf Tals Gesicht
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