Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 2
war
schwindlig geworden. Die Frau gönnte ihm keinen
zweiten Blick, als sie das Wasser auf den Boden
kippte und einen Teil des Bluts damit wegspülte. Er
stand reglos da, als sie wieder davonging und den
Eimer zu einem größeren Bottich mit sauberem Wasser brachte. Amafi sah, wie Tal dastand, und riss fest
an seinem Ärmel. Im Flüsterton sagte er: »Ihr fallt
auf, Euer Wohlgeboren. Senkt den Kopf wieder!«
Also machte sich Tal erneut ans Schrubben, aber
alle Gedanken an die Büchertitel waren aus seinem
Kopf vertrieben. Sie arbeiteten noch eine Stunde
weiter, und dann befahl man ihnen, den Bottich wegzubringen. Draußen eilten sie die Treppe hinunter.
Auf halbem Weg den langen Flur entlang öffnete Tal
einen verborgenen Eingang zu den Dienerfluren und
führte Amafi zurück in ihre Wohnung. Die Badewanne war immer noch voll, und Tal sagte: »Wir
werden sie beide benutzen müssen, und dann musst
du sie eimerweise leeren. Wir können nicht zulassen,
dass jemand dieses Blut sieht.«
Amafi fragte: »Euer Wohlgeboren, was ist da oben
passiert? Ihr habt ausgesehen, als wäre Euch ein
Geist erschienen.«
»Beinahe, Amafi, beinahe.«
Er zog sein blutiges Hemd aus und warf es dem
Diener zu. »Verbrenn die Sachen«, wies er ihn an,
nachdem er die schmutzige Hose ausgezogen hatte.
Er setzte sich in die Wanne und schloss die Augen.
Aber das Gesicht der jungen Frau stand weiterhin vor
seinem geistigen Auge wie ein Porträt, das in seine
Erinnerung eingebrannt war. Jedes Haar auf ihrem
Kopf, jeder Fleck auf ihren Wangen – verschmierter
Dreck, aber auch Spuren von Schlägen, einige alt,
andere neu. Aber er erinnerte sich an sie aus einer
Zeit, in der ihr Gesicht ein paar zarte Sommersprossen gehabt hatte und sie ihn aus honigfarbenen Augen auf eine Weise betrachtet hatte, dass er am liebsten gestorben wäre. Er tauchte den Kopf unter Wasser und wusch sich das Haar. Als er den Kopf
schnaubend wieder hob, schlug er die Hände vors
Gesicht, denn er hatte tatsächlich einen Geist gesehen. Er kannte diese hoch gewachsene, schlanke
Frau. Er hatte sie mit den anderen Mädchen im Dorf
Kulaam gesehen, damals, als Talwin Hawkins noch
Kielianapuna – kleines rotes Eichhörnchen – hieß
und man sie bereits Teal Eye nannte.
Amafi kam zurück und fragte: »Was ist denn los,
Euer Wohlgeboren?«
Tal spürte das Bedürfnis zu rufen: Ich bin nicht
der Letzte meines Volkes!, aber er wusste, wenn er
das tat, würde er Amafi mehr mitteilen, als er den
ehemaligen Attentäter wissen lassen wollte. Schließlich erklärte er: »Dieses blonde Mädchen in Leso Varens Zimmer.«
»Ja, Euer Wohlgeboren?«
»Sie … sie hat mich an jemanden erinnert, den ich
seit Jahren nicht mehr gesehen habe.«
»Ah!«, sagte Amafi und begann, sich seiner blutigen Kleidung zu entledigen. »Eine verblüffende
Ähnlichkeit also.«
»Sehr verblüffend.«
Sie tauschten die Plätze, und Tal trocknete sich
mit einem Handtuch ab. Als er sich fürs Bett vorbereitete – in dem Wissen, dass er ohnehin nicht würde
schlafen können –, sagte er: »Wenn der Herzog mir
morgen meine letzten Anweisungen gibt, bevor wir
nach Salador aufbrechen, möchte ich, dass du so viel
wie möglich über diese Leute herausfindest, die gekommen sind, um die Leichen wegzubringen. Es
muss jemand sein, bei dem der Verwalter sicher sein
kann, dass sie schweigen werden. Finde so viel heraus, wie du kannst.«
»Über das Mädchen?«
Tal überlegte. »Noch nicht. Im Augenblick möchte
ich nur wissen, wo sie sich befindet und wer ihr Herr
ist.«
»Ja, Euer Wohlgeboren.«
Tal setzte sich vor den Kamin und versuchte sich
aufzuwärmen, aber er merkte, dass er dazu viel länger brauchte, als es eigentlich dauern sollte.
Salador
Die Kutsche rollte die Straße entlang.
Tal und Amafi waren auf dem Weg zu einem
Haus, das einer von Kaspars Agenten in Salador für
sie angemietet hatte. Tal war diesmal nicht in einer
offiziellen Funktion für den Herzog unterwegs. Es
gab keine Botschaften, keine diplomatischen Aufgaben, keine Repräsentation von Olasko im Palast des
Herzogs von Salador. Niemand sollte wissen, dass er
Kaspars Agent oder ein Hofbaron in Olasko war. Für
alle in Salador würde er weiterhin Junker Tal Hawkins sein, der in eine Stadt zurückkehrte, in der er
schon vor Jahren einmal gewohnt hatte.
Er hatte einen Plan, und er wusste, was man von
ihm erwartete und was sein Schicksal sein würde,
wenn man ihn erwischte oder er versagte. Dennoch,
er
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