Feist Raymond - Die Erben von Midkemia 4
dann
erreicht man den Punkt, an dem sie will, dass man aufhört … und man ist da, hält die Hand zurück und weiß,
dass es ihr keinen Spaß mehr macht, aber man weiß auch,
dass es sich so gut anfühlen würde, noch ein einziges
Mal zuzuschlagen. Sie bekommt Angst und fängt an zu
weinen, aber davon fühlt man sich nur noch besser. Und
wenn man sie jetzt schlägt, wird sie aufhören, Angst zu
haben, weil sie bewusstlos sein wird …«
»Oder tot«, sagte Nakor leise.
Bek zuckte die Achseln. »Oder tot. Es ist eine Situation, in der man weiß, dass sich in einem einzigen Augenblick alles verändern könnte. Es ist, wie wenn man mit
dem Pferd über ein Hindernis springt, das ein kleines
bisschen zu hoch sein könnte, oder durch eine Tür stürzt
und weiß, dass in dem Raum dahinter jemand wartet, der
einen umbringen will.« Seine Augen waren nun groß,
und er starrte Nakor aufgeregt an. »Ich wache immer mit
einem Gefühl von Gefahr auf, als wartete ich darauf, dass
etwas passiert.«
»Ununterbrochene Spannung?«
»Ja, genau, und zwar, als wären diese Szenen … so
gerade außer Reichweite … versteht Ihr?«
»Ja«, sagte Nakor. »Ich verstehe.«
Bek verzog wieder das Gesicht. »Aber wenn ich diese
Dinge tue …« Er öffnete die Hand und sah seine Handfläche an. »Wenn ich das Mädchen schlage. Fest. Wirklich fest. Oder das Pferd über das Hindernis treibe –
selbst wenn es sich am Zaun den Bauch aufreißt oder
sich bei der Landung das Bein bricht – oder wenn ich
durch die Tür stürze und den töte, der dahinter wartet…«
»Dann hören die Träume eine Weile auf«, beendete
Nakor den Satz für ihn.
»Ja«, sagte Bek und stand auf. »Ihr versteht es wirklich! Woher wisst Ihr das?«
»Weil ich vor vielen Jahren ebenfalls Träume hatte.«
»Haben sie Euch dazu gebracht, Dinge zu tun?«
Nakor zuckte die Achseln. »Wenn ich danach handelte, haben sie eine Weile aufgehört, ja. Ich wurde ein
Spieler und habe einigen Leuten ein Vermögen abgeschwindelt, und dann hörten die Träume ein paar Tage
auf. Ich wurde ein Betrüger, und wenn ich jemanden betrogen hatte, hörten sie eine Weile auf. Je mehr Schaden
ich mit meinen Lügen und meinem Diebstahl anrichtete,
desto länger hatte ich keine Träume mehr.«
Bek schüttelte den Kopf. »Wenn ich einen Streit anfange oder jemanden dazu bringe, etwas …«
»Etwas Böses zu tun?«
Bek zuckte die Achseln. »Ich weiß nichts von Böse
und Gut, ich weiß nur, was ich tun will. Wenn ich jemanden zwinge, etwas zu tun, was er nicht tun will …«
»Was zum Beispiel?«
Bek sagte: »Vor etwa zwei Jahren waren Drago und
ich in einem Dorf in der Nähe von Lanada. Drago war
ein Mann, den ich dort in einem Hurenhaus kennen gelernt hatte. Wir waren beide betrunken und nahmen diese
beiden Mädchen mit nach oben – ich weiß nicht mehr, ob
es seine oder meine Idee war.« Wieder schien Bek in die
Ferne zu starren, als sähe er das, woran er sich erinnerte.
»Eine der Huren ließ sich gerne schlagen – ich frage
immer nach solchen. Diese war eine Tigerin. Sie johlte
und kreischte, kratzte und biss.« Er schwieg einen Moment, dann zuckte er die Achseln. »Jedenfalls wurde es
irgendwann rauer, als ihr lieb war, denn sie hörte auf zu
johlen und zu kreischen und weinte stattdessen. Drago
packte mich am Arm und sagte, ich solle aufhören, also
brachte ich ihn um. Dann schrien beide Mädchen, also
habe ich sie ebenfalls getötet.« Bek sah Nakor an. »Ich
weiß wirklich nicht, wie die Dinge so außer Kontrolle
geraten konnten, aber so war es.«
»Ja, so war es.«
Bek lächelte, dann sagte er: »Aber es fühlt sich gut an,
wenn Dinge außer Kontrolle geraten, versteht Ihr?«
Nakor stand auf. »Ja, das tue ich.« Er stellte sich neben Bek, der immer noch mit diesem verrückten Blick zu
ihm hochstarrte.
»Ihr werdet mir jetzt wehtun, nicht wahr?«
»Ja«, sagte Nakor und hielt die Hand über Beks Kopf.
Als Bek dazu ansetzte, sich zu verteidigen, ergoss sich
Licht aus Nakors Handfläche und ließ den jungen Krieger erstarren. Bek biss die Zähne zusammen, er verdrehte
die Augen, und dann gab er ein seltsames Geräusch von
sich. Es begann in seiner Brust, ein tiefes Grollen, das
ausgeprägter wurde, als es in seine Kehle aufstieg, wo es
zu einem heiseren Ausatmen wurde. Dann wurde dieses
Ausatmen lauter, und schließlich verwandelte es sich in
einen gellenden Schmerzensschrei.
Es ging weiter, bis Bek keine Luft mehr in der Lunge
hatte und nur noch
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