Feist, Raymond - Krondor-Saga 3
mit dieser Nekromantie auf sich, dass ihr Priester und Magier darauf immer so verstört reagiert?«
Solon übernahm die Antwort. »Es gibt eine grundsätzliche Ordnung im Universum, und es gibt Grenzen für jede Macht – oder zumindest sollte es sie geben. Jene, die mit der Essenz des Lebens herumspielen und den Tod verhöhnen, verletzen die wichtigsten Grundsätze dieser Ordnung. Oder seid Ihr zu begriffsstutzig, um das zu verstehen?«
»Ich hab ja nur gefragt«, sagte Kendaric mit weinerlicher Stimme. Er strich mit den Fingerspitzen über das Buch. »Ein schöner Einband.«
»Das ist Menschenhaut«, sagte Jazhara.
Kendaric zog die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt.
»Kommt«, sagte James. Sie machten sich wieder auf den Weg und bewegten sich noch tiefer in den Tempel hinein.
Die Zeit verstrich, und noch immer führte ihr Weg sie durch aus Stein gehauene Hallen. Gelegentlich machten sie Halt, und James eilte voraus, um das vor ihnen liegende Terrain auszukundschaften. Sie hörten andere Wesen, die sich in dem riesigen Tempel befanden, und manchmal waren sie gezwungen, sich zu verstecken, aber sie schafften es tatsächlich, niemandem zu begegnen, und marschierten tapfer weiter.
Ungefähr eine Stunde, nachdem sie den Tempel betreten hatten, gelangten sie in eine riesige Halle, an deren hinterem Ende sich eine gigantische Statue befand, eine heldenhafte Gestalt, die auf einem Thron saß. Als sie den Fuß der Statue erreichten, starrten sie nach oben. Der Koloss ragte zwei Stockwerke hoch über ihnen auf.
Die Gestalt war allem Anschein nach menschlich, mit breiten Schultern und mächtigen Armen, und sie saß unglaublich gelassen da. Aus dem Stein gehauene, mit Sandalen bekleidete Füße lugten unter dem Saum eines bodenlangen Gewandes hervor.
»Seht«, sagte Kendaric. »Seht euch das Gesicht an.«
Das Gesicht der Statue war restlos abgeschlagen worden.
»Warum hat man sie auf diese Weise gesichtslos gemacht?«
»Als Schutz gegen das Böse, das sie repräsentiert«, sagte Jazhara leise.
»Wer ist das?«, fragte Kendaric. »Welchen Gott stellt diese Statue dar?«
Solon legte Kendaric sanft eine Hand auf die Schulter.
»Das wirst du niemals erfahren, und dafür solltest du dankbar sein.«
James bedeutete ihnen, dass sie weitergehen sollten.
James blieb stehen und schnüffelte. Er hob die Hand.
»Was ist?«, fragte Kendaric flüsternd.
Solon schob sich nach vorn und fragte: »Könnt Ihr es denn nicht riechen?«
»Ich rieche etwas«, sagte Kendaric. »Aber was ist das?«
»Goblins«, sagte James.
Er hob die Hand, um seinen Gefährten klarzumachen, dass sie stehen bleiben sollten, während er in die Knie ging und auf allen vieren auf eine offene Tür zukroch. Das letzte Stück legte er sich flach auf den Bauch und schob sich ganz langsam vorwärts, um in den Raum zu spähen.
Dann drehte er sich um, krabbelte zurück und sprang in einer einzigen fließenden Bewegung wieder auf die Beine.
Als er zu seinen Gefährten trat, zog er sein Schwert. »Die meisten waren wohl bei der Patrouille, die wir gesehen haben. Zwei schlafen in ihren Betten, und zwei andere essen am hinteren Ende des Raums irgendwas aus einem Topf«, sagte er mit leiser Stimme.
»Ich kann mich um die beiden kümmern, die beim Essen sind – und zwar so, dass sie kein Geräusch von sich geben können«, sagte Jazhara.
»Gut«, erwiderte James. »Dann werde ich die anderen beiden zum Schweigen bringen.«
Jazhara schloss die Augen, und James spürte einmal mehr, wie sich die Härchen auf seinen Armen aufrichteten, als sie begann, ihre Magie zu wirken. Für gut zwei Minuten blieb sie völlig reglos stehen, dann öffnete sie die Augen wieder. »Ich bin fertig.«
»Was war das denn?«, fragte Kendaric.
»Einer von der Sorte, für die man ein bisschen Zeit braucht. Jetzt ist der Spruch fast fertig. Ich muss nur noch eine letzte Beschwörung hinzufügen, und er beginnt zu wirken. Er ist sehr nützlich, wenn man die entsprechende Sorgfalt walten lässt - und nicht besonders nützlich, wenn man’s eilig hat.«
»Aha«, sagte Kendaric, als ob er alles verstanden hätte.
Aber es war ganz klar, dass er überhaupt nichts begriff.
James bedeutete ihnen, sich in Bewegung zu setzen. Sie erreichten die Tür, und Jazhara trat hindurch. Sie sprach ihre letzte Beschwörungsformel laut aus.
Der eine Goblin hörte die ersten Worte und hob den Kopf. Er wollte aufstehen, aber Jazharas Spruch zeigte bereits Wirkung, denn er war gelähmt, war
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