Feist, Raymond - Krondor-Saga 3
der Handschrift diese leichte Erregung erkennbar wäre, die ich erwarten würde, gäbe es noch zwei andere Gründe, die gegen die Echtheit des Dokuments sprechen.«
»Und die wären?«, fragte sie, während das Geräusch sich rasch nähernder Schritte zu ihnen hereindrang.
»Euer Großonkel wäre niemals so dumm, das Todesurteil für eine keshianische Adlige eigenhändig zu unterzeichnen, noch dazu, wenn es sich dabei um ein Mitglied seiner Familie handelt. Was aber noch viel wichtiger ist: Wir haben in den letzten Jahren im Palast eine stattliche Anzahl von Dokumenten mit seinem Siegel zu Gesicht bekommen, und in ebendiesem Siegel ist eine winzig kleine Unregelmäßigkeit.« James deutete auf das Blatt. »Schaut her. Wo die Spitze des Sterns den unteren Rand des Siegels berührt, sollte ein feiner Riss sein – so, als ob der Ring an dieser Stelle einen winzigen Sprung hätte. Dieses Siegel weist dieses Merkmal nicht auf. Was bedeutet – es ist nicht mit seinem Siegelring gemacht worden.«
»Aber … warum?«, fragte Jazhara. Während sie sprach, erschien eine Gruppe von Mitgliedern der Stadtwache vor der Tür.
»Ganz einfach«, sagte James, während er auf die Tür zuschritt. »Wenn die neue Hofmagierin von Krondor stirbt und jemand am Kaiserlichen Hof nach jemandem sucht, den man dafür verantwortlich machen könnte – wer wäre dafür wohl besser geeignet als der Anführer des keshianischen Agentenrings? Vielleicht gibt es am Hof der Kaiserin jemanden, der Euren Großonkel gern aus seiner Position entfernen würde – möglicherweise, weil er einen eigenen Mann auf diesem Posten sehen will.«
»Der Kriecher?«, fragte Jazhara.
James drehte sich zu ihr um und nickte.
»Dann muss er wirklich ein überaus wichtiger Mensch sein«, sagte sie. »Meinen Großonkel herauszufordern heißt eine Menge riskieren. Nur ein Mann, der in Kesh eine eigene Machtbasis besitzt, könnte so etwas wagen.«
Von der Tür erklang die Stimme eines Wachmanns.
»Eins dieser Kinder ist zu uns gekommen, und wir haben uns so schnell wie möglich hierher begeben, Junker. Wie können wir Euch helfen?«
»Da drinnen gibt es ein paar Leichen, die weggeschafft werden müssen«, erwiderte James. »Ansonsten haben wir alles unter Kontrolle.« Er warf einen Blick auf die Kinder, die in einem Kreis um sie herumstanden, als würden sie sich darauf vorbereiten, sofort loszurennen, wenn die Angst unerträglich werden sollte. »Ihr müsst Euch um die Kinder kümmern, bevor sie sich in alle Himmelsrichtungen zerstreuen.«
»Und wo sollen wir sie hinbringen?«
»Zum ›Schild der Dala‹, dem Waisenhaus, das die Prinzessin mitbegründet hat, drüben beim Meertor. Als ich das letzte Mal etwas darüber gehört habe, gab es dort viele Betten und warmes Essen«, sagte James.
Ein paar Kinder bewegten sich vorsichtig ein Stück zur Seite, als ob sie sich darauf vorbereiteten, gleich davonzurennen. Jazhara kauerte sich hin und streckte die Arme aus, als wollte sie die ängstlichen Kinder zu sich heran-ziehen. »Sie sind dort nicht so wie die Männer, die euch wehgetan haben«, sagte sie. »Dort gibt es wirklich etwas zu essen und warme Betten.«
Mit der Aussicht konfrontiert, ansonsten in einer kalten Nacht mit leeren Bäuchen auf nackten Steinen schlafen zu müssen, blieben die Kinder. Der Wachmann schaute sich um. »Nun, wenn es in Ordnung ist, dass Ihr ohne Wache zum Palast zurückkehrt, Junker, werden wir uns um diese Meute hier kümmern. Kommt mit, Kinder«, sagte er und versuchte, seine Stimme nicht allzu barsch klingen zu lassen.
Die Kinder gingen mit zwei Wachen davon. Die beiden übrigen Männer spähten in das Gebäude. »Bis zum Morgen werden wir die Leichen weggeschafft haben. Aber was ist mit dem Gebäude?«, fragte einer der beiden.
»Wenn ihr geht, wird es keine fünf Minuten dauern, bis es ausgeplündert wird«, entgegnete James. »Deshalb werde ich mich jetzt hier noch ein bisschen umschauen und alles, was irgendwie wichtig sein könnte, mit zum Prinzen nehmen. Wenn wir weg sind, seht zu, dass ihr die Leichen wegschafft, und lasst jeden, der irgendwie vorbeikommt, mitnehmen, was immer er mitnehmen will. Wenn der vorherige Eigentümer irgendwelche Erben hat, empfange ich sie gerne im Palast, falls sie sich beklagen wollen.«
Der Wachmann salutierte, und James und Jazhara kehrten in den Färberladen zurück. Jazhara untersuchte alle Dokumente in der Kiste, und James schaute sich in jedem Winkel, indem ein geheimes Versteck verborgen
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