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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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Berlin zur formellen Entlassung aus der Wehrmacht überstellt worden.
    »Wohin?« fragte er das Mädchen.
    »Ich müßte zu meiner Leitstelle«, entgegnete die Uniformierte.
    »Morgen ist auch noch ein Tag«, antwortete Freddy, »kennen Sie Berlin?«
    »Nein.«
    »Darf ich es Ihnen vorführen?«
    Sie sah ihn an.
    »Ich bin hier zu Hause«, setzte er großartig hinzu, »und ich habe zu einigen Dingen auch noch Vitamin B.«
    Das Mädchen nickte. »Ich weiß nicht, aber …«
    »Ich heiße Kleebach«, erwiderte er, und sein Name klang wie ein Programm. Er stellte den Koffer ab und reichte ihr die Hand. Er beugte sich zu ihr herab, und sie lächelte ihm zu.
    Sie hatten einander verstanden, und der Krieg hatte ihnen beiden beigebracht, daß seine Freizeit wertvoll war. »Privat erwartet Sie ja wohl niemand?« fragte der Gigolo.
    »Nein«, antwortete sie.
    »Kein Freund?«
    »Neugierig?«
    »Nein, eifersüchtig«, erwiderte Freddy belustigt.
    »Gibt es das auch noch?« versetzte sie.
    »Ich bin noch Friedensware«, entgegnete er stolz, »und ich glaube, ich bin der Richtige für Sie.«
    »Prima«, antwortete das Mädchen, »und wenn Sie so weiterreden, werden Sie mich noch überzeugen, daß ich ein Leben lang auf Sie gewartet habe.«
    »Könnte nicht schaden … Ich trage übrigens diese Scheißuniform bloß noch pro forma«, setzte er überzeugt hinzu, »ich werde in der nächsten Woche aus dem Verein entlassen und scheide dann aus dem Mannschaftsstand.« Er freute sich sehr deutlich. »Und Zivilisten stehen ja alle im Offiziersrang.«
    »Reden Sie immer so viel?«
    »Nur, wenn ich schönen Frauen begegne.«
    »Sie halten mich also für schön?«
    »Sie sich nicht?«
    »Mitunter«, entgegnete das Mädchen, »wenn es mir so ein Bursche wie Sie sagt, so ein geölter Schwindler … Sie gefallen mir übrigens ganz gut.« Sie betrachtete ihn demonstrativ, und Freddy entgegnete lächelnd: »Heil von Kopf bis Fuß … niemand verwundet, nichts verloren, außer den Blinddarm … Nun zier dich nicht mehr so lange, Mädchen, und sage mir, wie du heißt.«
    »Gerda.«
    »Du bist die schickste Gerda meines Lebens, und fast auch die erste … und hier in der Nähe kenne ich eine Stampe, in der es noch etwas zu trinken gibt … und dann suchen wir uns eine Bleibe, und dann machen wir uns einen schönen Tag, und dann … Tee trinken und abwarten.« Er blinzelte ihr zu.
    »Ein umfassendes Programm«, versetzte das Mädchen.
    Sie gewöhnten sich sehr rasch aneinander. Freddy sprach weniger von Gefühlen, er verhieß einige aufregende Nachtsensationen, auch noch in einem verdunkelten Berlin. Und Gerda hatte, seitdem sie die Uniform trug, erfaßt, daß man die Feste feiern mußte, wie sie fallen.
    Und so zogen sie miteinander in das nächste Restaurant, schon Arm in Arm, auf Tuchfühlung mit der Erwartung, und Freddy wußte, daß es ein wohlgelungener Abend würde; aber einen Moment lang wurde die Vorfreude doch von dem Gedanken getrübt, daß Mutter zu Hause saß und auf ihn wartete; aber er warf ihn weg wie eine Zigarettenkippe und sagte sich, daß er Mutter ja von nun ab sein ganzes Leben hatte, aber dieses Mädchen mit den hübschen Beinen und den lockenden Lippen morgen von einer Leitstelle weiß Gott wohin geschickt würde.
    Es war still in dem gemütlichen Wohnzimmer Ecke Lietzenburger/Wielandstraße, obwohl hier drei Menschen saßen: Maria Kleebach, ihre Tochter Marion und ihr Schwiegersohn Heinz Böckelmann, der Kriegsblinde.
    Sie hatten das Radio eingeschaltet, aber es spuckte bloß Positionen der Vorwarnung aus. Ein großer feindlicher Bomberpulk kam von Süden, ein anderer, aus dem Westen einfliegender, hatte nach Norden, vermutlich Hamburg, abgedreht, und ein dritter, der eben die Grenzen des Reichsgebiets überflog, stand gleichweit von Köln und Berlin und würde erst in den nächsten Minuten das Angriffsziel erkennen lassen.
    »Wo Freddy bloß bleibt?« fragte Maria Kleebach. In ihrem Gesicht leben nur noch die Augen, und selbst sie hatten einen fernen, wie nach innen gehenden Ausdruck. Ihre Stimme war dunkel, fast ohne Klang. Ihre Gesichtshaut wirkte ledrig, war zerklüftet; Maria Kleebach war still und schmal geworden, und die Angehörigen, die sie umgaben, fragten sich oft, ob sie überhaupt noch in der Lage sei, ihr Leid ganz zu erfassen.
    Sie hauste in ihrem Bewußtsein wie in einer Ruine. Aber in dem eingestürzten, ausgebrannten Labyrinth war doch noch ein vages Fundament, und es bestand ein letzter Rest

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