Feldpostnummer unbekannt
in einem Dorf in der Nähe von Arras aufgegeben hatte. Aber das wußte Vater Kleebach nicht, denn er ließ ihn ungeöffnet, um ihn seiner Frau als vielleicht schönstes Geschenk auf den Gabentisch zu legen.
Die Kleebachs wohnten in einem Rückgebäude Ecke Lietzenburger/Wielandstraße im Berliner Westen. Ihre Jubiläumsfeier fand in der guten Stube statt. Der Tisch war ausgezogen, auf der Anrichte lagen die Geschenke und in der Ecke standen die Blumen – mehr Blumen als Vasen – so dicht beieinander, daß sie Platznot hatten. »Die Gans ist gleich durch«, sagte Freddy, der aus der Küche kam. Er war ein schlanker, lustiger Kerl mit gewellten, dunklen Haaren und hübschen, frechen Augen. »Na, wie hab' ich das gemacht?« fragte er stolz.
»Wie immer, Gigolo«, foppte ihn Marion.
»Mensch«, fuhr Freddy fort, »drei Wochen bin ich mit der Feinkosthändlerstochter herumgezogen … hab' Briefchen geschrieben und Händchen gehalten, im Mondschein ihr ins Öhrchen geflüstert …«, er lachte zufrieden, »bis die Gans endlich die Gans herausrückte.«
»Freddy, bitte!« sagte der Vater streng. Seine Kinder waren ihm zwar schon fast alle über den Kopf gewachsen, aber er blieb die Autorität.
Mutter Kleebach schüttelte den Kopf. Sie betrachtete ihre Schar, als sähe sie sie heute zum erstenmal, und sie wunderte sich, wie immer, über diese Gegensätze. Neben ihr Thomas, der Älteste, viel zu ernst für seine 24 Jahre. Dann Freddy, der Luftikus, und Achim, der mit hochrotem Kopf vor dem Radio saß und alles andere vergaß.
»Mensch«, wandte er sich zu seiner Mutter um, »Paris im Eimer … das ist ja das höchste Geschenk, das sie euch zur Silberhochzeit machen konnten!«
Mutter Kleebach lächelte still. Sie wußte es besser, aber sie wollte ihrem Zweitjüngsten die Freude nicht nehmen.
Thomas legte den Arm um ihre Schultern.
»Wenigstens ist der Krieg im Westen bald aus«, sagte er leise, »und dann haben es auch Gerd und Fritz überstanden …«
Die Mutter lächelte. Achim drehte das Radio auf Fortissimo.
»Stell den Kasten leiser!« fuhr ihn Thomas an, der den Polenfeldzug mit einem Steckschuß liquidiert hatte und den Krieg nicht erst aus Sondermeldungen kennenzulernen brauchte.
Vater Kleebach genehmigte sich einen Schnaps. Er war ein wenig melancholisch heute, da er auf fünfundzwanzig Jahre erfülltes Leben zurücksah, auf ein Vierteljahrhundert Arbeit, Glück und Verzicht. Er trat an seine Frau heran. »Ja«, sagte er, »die Zeit vergeht … Hättest du damals gedacht, daß es einmal so viele Kleebachs geben wird?« Sie schüttelte den Kopf.
»Würdest du mich noch einmal nehmen?« fragte er versonnen.
»Jeden Tag«, entgegnete Maria Kleebach und sah ihn groß an.
Er lächelte, wie damals, als sie ihm ›ja‹ gesagt hatte. Er hatte lange gezögert, um sie zu werben, er, der kleine Beamte, um sie, die Tochter eines Geschäftsmannes. Aber sie hatte ihn gemocht, viel mehr noch als das, und mit der ihr eigenen Energie alle Widerstände gebrochen.
»Ja«, sagte sie jetzt zu ihrem Mann, »ich danke dir, Arthur … für alles …«
Er putzte verlegen an seiner Brille. Seine Frau konnte aussprechen, was er empfand.
Die Familie Kleebach stellte ein freiwilliges Matriarchat dar. Die Mutter war Mittelpunkt. Ihre Kinder hatten es sich angewöhnt, zu ihr aufzusehen, genau wie der Mann. Sie hatte ein stilles, feines Gesicht, das noch immer schön war und dem die Silberhaare jetzt erst den würdigen Rahmen boten.
»Und Sommersprossen hat er …«, neckte Freddy seine Schwester, »und seine Nase sitzt schief, und mit so einem Kerl flanierst du herum …«
»Ihr Affen!« erwiderte die achtzehnjährige Marion und wurde rot.
»Nicht einmal das HJ-Leistungsabzeichen hat er geschafft«, warf der Pimpf Achim ein, »und am Reck ist er eine Niete …«
»Der bringt doch vor Verlegenheit den Mund nicht auf, wenn er bei dir ist …«, behauptete der Gigolo fachkundig.
»Hauptsache, deine Klappe steht immer offen«, verteidigte sich Marion.
»Verlass dich darauf«, versetzte Freddy großartig. »Kannst ihn ja mal zu mir schicken … ich gebe ihm gerne Nachhilfestunden …«
»Schluß jetzt!« beendete der Vater die Debatte.
»Und eingehängt hat sie sich bei dem Kerl auch noch«, petzte Achim hinterher.
Auf der Anrichte stand die Torte, die es erst am Nachmittag geben würde, und ein stilisiertes Gelee-Herz umrahmte die Zahl 25. Sie würde nur in sechs Stücke geteilt werden, denn der siebte und
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