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Feldpostnummer unbekannt

Feldpostnummer unbekannt

Titel: Feldpostnummer unbekannt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Will Berthold
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wahnsinnig.«
    »Die legen dich bloß um.«
    »Von mir aus.«
    »Das ist eine Falle!« Achims Stimme überschlug sich.
    »Ich hab' Hunger.«
    »Ich gebe dir den dienstlichen Befehl hierzubleiben.«
    »Leck mich am Arsch!«
    Achim nahm die MP wieder zur Hand und legte auf den Unteroffizier an. »Ich leg' dich um, wenn du aus der Stellung gehst«, schrie er.
    »Dann tu's«, versetzte Hanselmann, »mir auch recht …«
    Der Bulle stieg auf den Rand des Grabens und ließ sich von den anderen die Kochgeschirre hinaufreichen. Er ging langsam, breitbeinig, mit zuerst taumeligen und dann immer fester werdenden Schritten auf die russische Stellung zu. Er klapperte mit den Kochgeschirren, daß sie ihn zumindest hören mußten, so sie ihn nicht sehen konnten. Und dann blieb der Unteroffizier stehen, legte die hohlen Hände um den Mund und brüllte: »Hört zu, ihr Iwans … ich komme … komme … komme …«
    Er ging noch ein paar zögernde Schritte weiter, und plötzlich beleuchteten ihm die Russen auch noch den Weg. Als die Scheinwerfer aufflammten, wollte sich Hanselmann zunächst in Deckung hauen, und dann ließ er es sein. Er stapfte hinter dem Lichtstrahl her, tastend wie über eine Brücke, genau auf die Stellung zu.
    Die Männer des Zuges sahen ihm gebannt nach. Jetzt, dachten sie, jetzt schießen sie, wird er zersägt, fällt er über seine Kochgeschirre, geht er vor die Hunde, aber er hat dann keinen Hunger mehr … »Amen …«, sagte der kleine Sawitzky leise.
    In dem Moment, da Hanselmann die russische Stellung erreicht hatte, gingen die Scheinwerfer aus, war Stille wie zuvor.
    Lächerlich, dachte Kleebach und hasste sich, weil er Hanselmann nicht über den Haufen geschossen hatte. Dummer Propagandabluff. Idiotisch einfach, darauf hereinzufallen.
    Nach zehn Minuten schaltete sich wieder der Lautsprecher ein. »Deutsche Kameraden«, rief er, »gleich kommt Unteroffizier Hanselmann zurück … mit zehn Kochgeschirren voll bis zum Rand … wenn ihr noch mehr Hunger habt, kommt zu uns … unsere Küche ist die ganze Nacht offen.«
    Marschmusik, Scheinwerfer. Und aus ihrem Strahl kam ein Schatten und nahm die Konturen Hanselmanns an, seinen wuchtigen, gedrungenen Körper, und er ging aufrecht und sicher, nahm den Takt des Viervierteltaktes auf und hatte, jeder sah es und drohte überzuschnappen dabei, schwer an zehn Kochgeschirren zu tragen. Fünf in jeder Hand. War noch hundert Meter von der deutschen Stellung weg. Noch achtzig. Noch sechzig. War so nahe jetzt, daß sie das dumme Grinsen in seinem Gesicht sahen.
    Sie legten ihre Waffen nach der anderen Seite an, weil spätestens jetzt der sowjetische Feuerzauber einsetzen mußte, und hofften dabei, daß der Unteroffizier beim Fallen nicht die Kochgeschirre ausschütten würde, denn so nahe war er jetzt, daß sie später in jedem Fall das Zeug bergen konnten.
    Und da war er, noch immer geleitet von den Lichtarmen, der Festbeleuchtung des deutschen Hungers, bis auf fünf Meter heran. Und dann gingen die Scheinwerfer aus, und es war finster wie zuvor. Hanselmann ließ sich vorsichtig in den Graben hinabgleiten und stellte seine Beute vor dem fassungslosen Achim Kleebach ab. »So«, sagte er und deutete auf die dampfende Suppe, »gesegnete Mahlzeit … für euch allein … hab' mich drüben schon sattgefressen …«
    Er nahm eines der Kochgeschirre und drückte es dem Oberfähnrich in die Hand. Einen Moment lang sah es aus, als ob der Junge ihm die Suppe ins Gesicht schleudern wollte, dann setzte er das Kochgeschirr vorsichtig ab. Obwohl sie vor Hunger fast wahnsinnig waren, fielen sie dann seltsam diszipliniert über das Essen her. Je drei Mann ein Kochgeschirr. Abwechselnd jeder einen gestrichenen Eßlöffel voll, rundherum im Kreise. Sie hatten noch ungläubige Gesichter dabei. Den ersten Bissen würgten sie hinab, als ob er Gift sei. Gift hin oder her, dachten sie dann, wenigstens etwas im Magen.
    Aber es war kein Gift. Es war, was man ihnen versprochen hatte, zubereitet wie bei Aschinger in Berlin, Hausmannskost: man nehme Erbsen, Wasser, Speck, Salz und Kartoffeln …
    Die Kochgeschirre waren geleert, bis auf den Rest, den man für Achim Kleebach übrigließ. Der Pimpf schmollte noch eine halbe Stunde. Die anderen ließen ihn nicht aus den Augen dabei. Dann fiel er im Heißhunger über den Rest her und schlang ihn so rasch hinunter, daß er schwer atmete dabei. Und sein Gesicht war nichts wie ein Duell zwischen Hunger und Scham.
    Am nächsten Tag,

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