Felidae 05 - Salve Roma-neu-ok-21.02.12
grobgehauenen Steinplatten begann mir so langsam, jegliche
Orientierung zu rauben. Die halb aus den Zehenknochen ragenden Krallen
scharrten über das Gestein, so daß unsere Schritte ein gespenstisches Hallen
erzeugten. In weiter Ferne sah ich eine Gabelung auf uns zukommen, was meine
Panik weiter steigerte. Samantha indessen blieb von der Brisanz der Exkursion
völlig unberührt und durchquerte die Unterwelt wie eine abgeschossene Kugel,
die ihr Ziel mit Sicherheit nicht verfehlen würde.
»Die Theosophie stammt aus dem letzten Viertel des
19. Jahrhunderts. Es ist der Versuch, aus allen Religionen eine einzige
vereinigende Menschheitsreligion zu schaffen.
Hervorgegangen ist sie aus dem Spiritismus, der
damals die halbe Welt bewegte. Schon dieser war gekennzeichnet vom Wunsch,
religiöse Aussagen, zum Beispiel über die Unsterblichkeit der Seele und über
das Leben nach dem Tod, mit wissenschaftlichen Methoden überprüfen zu können.
Mit Hilfe menschlicher Medien suchten die Spiritisten mit der Totenwelt in
Kontakt zu treten und sich über deren Wesen belehren zu lassen. Die
Deutschrussin Helena Petrowna Blavatsky, die Gründerin der Theosophie, war
solch ein spiritistisches Medium. Ihr genügten jedoch nicht die Aussagen über die
Welt der Toten, sondern sie versuchte, die Geschichte des Kosmos und der
Menschen zu erhellen. Damit war der Spiritismus überschritten und die
Theosophie geboren.«
»Alles klar«, sagte ich. »Aber sollten wir
vielleicht nicht lieber noch einmal La Traviata hören, bevor wir einer
Totenerweckung beiwohnen?«
»Ich würde gern darüber lachen, wenn die ganze
Sache nicht so verdammt ernst wäre, Francis. Dieser Verein ist gefährlich, mehr
noch, er ist inzwischen zu einer üblen Sekte mutiert. Kein Wunder, ist doch die
Theosophie gleichsam die Mutter aller dubiosen New-Age-Bewegungen und der
pseudowissenschaftliche Unterbau der Rassenideologie. Schon die Nazis bezogen
sich auf die Theosophie, und Hitler war ein glühender Anhänger der Lehre. Die
Mitglieder wähnen sich als Ritter eines neuen Ordens. Sinn des Seins ist es
demnach, dazuzulernen und durch Inkarnation von Klasse zu Klasse
höherzuschreiten, bis man ein engelsgleiches Wesen geworden ist. Bloß daß die
Anschauungen eher teuflisch sind. Das fängt schon damit an, daß es nach der
theosophischen Überzeugung sieben sogenannte Wurzelrassen geben soll: die
Polarier, die Hyperboreer, die Lemurier, die Atlantier, die Arier und zwei noch
kommende. Selbstredend gehören die Theosophen zu den Ariern, abstammend vom
ersten Reich, welches im atlantischen Ozean, genauer im sagenumwobenen Atlantis
gegründet worden sei. Der Rest der Menschheit verharrt dagegen im
Unterrassen-Dasein und gilt nicht viel. Bei dem gegenwärtigen Flüchtlings-und
Ausländerproblem in Italien und anderswo in Europa ein Sprengsatz.«
Wir gelangten nun zur ersten Gabelung im Labyrinth.
Der gewölbte Mauerspitz unterteilte unseren Weg
rechts in einen dunklen und links in einen von den Fackeln halbwegs
erleuchteten Gang. Wir blieben seiner Fürstlichkeit auf der Spur und bogen
links ab.
»Ja, eine Schande«, sagte ich. »Die Welt wird immer
verrückter. Aber ist sie nicht schon immer verrückt gewesen? Ich meine,
ausgeflippte Sekten mit ausgeflipptem Heilsglauben hat es schon immer gegeben,
Samantha. Was soll an dieser so besonders sein? Und was um alles in der Welt
hat das alles mit den grassierenden Morden zu tun?«
Samantha lächelte von der Seite ein mitleidiges
Lächeln, als wäre ich zu dumm, um eins und eins zusammenzuzählen.
»Die Brisanz liegt zunächst darin, daß von dieser
Theosophen-Seuche inzwischen hochrangige Schichten der Stadt infiziert sind.
Politiker, Angehörige der Justiz, tonangebende Geschäftsleute, Adlige, wie du
mitbekommen hast, mächtige Reiche und Teile der jungen Priesterschaft im
Vatikan. Hin- und hergerissen zwischen den strengen Dogmen ihrer Kirche und den
Verlockungen einer immer rasender pulsierenden Welt haben sich diese jungen
Leute von dem wahren Glauben abgewandt und zu einer verborgenen
Splitterbewegung innerhalb der katholischen Kirche zusammengetan. Sie sind
sogar zur treibenden Kraft der Theosophie geworden.«
Schon nach kurzer Zeit hörte ich auf, die vielen
Verästelungen und Querschächte zu zählen, die unsere Route kreuzten. Und auch
die zurückgelegte Strecke war für mich nicht mehr entwirrbar. Die Fackeln
erhellten genug, um Einblicke in gähnende finstere Löcher rechts und links
unseres Weges zu
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