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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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geraten ist. Alles
wird brüderlich und schwesterlich geteilt.«
    Er las es wohl an meinen herabhängenden Schnurrbarthaaren
ab, daß ich an seinen letzten Worten meine Zweifel hegte.
    »Das heißt, wenn es etwas zu teilen gibt. Wer den Brunnen
als erster entdeckt hat, wissen wir nicht mehr. Wahrscheinlich gar niemand, und
jeder ist irgendwann in einer ähnlichen Situation wie du reingesegelt. Doch wie
du siehst, kam von oben nicht nur regelmäßig ein Satz spitzer Ohren hereingeflogen.
Die Menschen haben im Lauf der Jahre ihren Müll hier reingekippt. Vornehmlich
die Bücherbestände ihrer verstorbenen Angehörigen. Einer von ihnen war
offensichtlich in einer ganz miesen Klemme und hat die komplette
Kerzenmanufaktur seines dahingeschiedenen Opas in dem Loch entsorgt.«
    »Und ihr lest all die Bücher?«
    »Naja, wie man's nimmt, Dude. Man kann Bücher lesen oder
in sie eintauchen. Der gute Minzenstoff hilft uns dabei, das Letztere zu
praktizieren. Wenn du Bock hast, kann ich dir das Lesen beibringen. Ist ganz
leicht. Was anderes gibt es hier drinnen ohnehin nicht zu tun. Echt heavy, was
alles in diesen Wälzern drinsteht. Hast du gewußt, daß sich ausgerechnet
Hemingways Sohn einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat?«
    »Aber auch ihr müßt irgendwann einmal heraus«, sagte ich,
ohne mich beirren zu lassen. »Und das ist der eigentliche Haken an der
Geschichte, nicht wahr?«
    Eloi, der im schummerigen Licht und in seinem verwuselten
Schmuddellook selbst wie entsorgter Unrat wirkte, verzog die Lippen zu einem
erstaunten Lächeln. Seine strahlend blauen Augen jedoch sprachen eine andere
Sprache. Ein leises Flackern der Unsicherheit war darin zu erkennen, ein Anflug
furchtsamen Stutzens, als hätte ich an einem bösen Geheimnis gerührt.
    »Wußte ich's doch, daß in deiner kleinen Birne mehr steckt
als in all den verkifften Kürbisköpfen in diesem stinkenden Puff!« rief er aus.
Als Zeichen der Anerkennung leckte er mir über die Stirn, was ehrlich gesagt
eher einer Strafe gleichkam. Sein Atem roch wie die undefinierbare
Futterattrappe vor meinen Pfoten, und über die dubiose Zusammensetzung der
klebrigen Feuchtigkeit an meiner Stirn mochte ich lieber nicht nachdenken.
Dennoch spürte ich augenblicklich jenes warme Gefühl in mir aufsteigen, welches
ich stets empfunden hatte, wenn es im Kreise meiner Familie Anlaß zur Freude
gegeben hatte und wir alle für Sekunden von der unbarmherzigen Welt in eine
sorglose wegdriften konnten. Kurz, schon begann ich in Eloi eine Art familiärer
Ersatzfigur zu sehen.
    »Ja, der berühmt-berüchtigte Haken, Dude«, fuhr Eloi fort,
nachdem sein Lächeln einem bekümmerten Ausdruck gewichen war. »Den gibt es
immer im Leben, und nicht nur in dem Leben der glitschigen Kollegen mit den
Kiemen. Verdammt, ich weiß gar nicht, wie und wann das alles angefangen hat.
Allerdings ist es bei der ganztägigen Volldröhnung auch schwer, den Überblick
zu behalten oder besser gesagt das bißchen Gedächtnis, das man besitzt, wenn du
verstehst, was ich meine. Jedenfalls existiert in dem Park da draußen das
größte und saftigste Minzenfeld im Umkreis, und da wir hier alle tief im Herzen
afghanische Bauern sind, stehlen wir uns zwischendurch raus und fahren die
Ernte ein. Und wenn uns dabei zufällig ein Rattenmann und eine Rattenfrau über
den Weg laufen, sind wir christlich genug, sie in unserem Bauch miteinander zu
vereinen.«
    »Aber in letzter Zeit verlaßt ihr das Kerzenparadies nicht
mehr so gern?« fragte ich. Die Belobigung von eben hatte mich etwas keck werden
lassen.
    »Right, Dude, wir verlassen die warme Stube nur noch ungern,
weil draußen inzwischen eine ansteckende Krankheit grassiert. Und die heißt der
Tod! Seit kurzem kommen einige unserer Leute nicht mehr zurück. Ihre
verstümmelten Leichen finden wir dann auf den Minzefeldern. Nur wenige schaffen
es noch zurück bis in die Röhre. Was ihnen aber auch nicht mehr viel nützt. Tot
ist tot. Hat das nicht Seneca gesagt? Oder war es Kafka?«
    »Vielleicht sind es die Jäger, die meine Familie und mich
im Visier hatten.« Innerlich focht ich immer noch eine dramatische
Entscheidungsschlacht aus, ob ich in den Dreck vor mir hineinbeißen sollte.
Wenn Eloi mir wenigstens etwas über seine Beschaffenheit verraten hätte.
    »Das ist ziemlich abwegig, Dude«, erwiderte Eloi. »Die
Typen, die dich zum Waisen gemacht haben, sind irgendwelche gelangweilten
Rentner, die sich furchtbar darüber aufregen, wenn unsereiner in ihre
Blumenbete

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