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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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Augen, als sei das Ende der Welt gekommen.
    Ein ehrfürchtiges Stöhnen aus allen Kehlen ging durch den
Raum. Viele der Artgenossen griffen sofort zu den ne ben ihnen liegenden
Minzestengeln und begannen daran zu schniefen, als wären diese Medikamente, die
einem bevorstehenden Infarkt vorbeugen können. Der Rest benahm sich nicht
weniger panisch. Ein aufgeregtes Getuschel setzte ein.
    »Was bedeutet das?« Ich warf einen hastigen Blick auf
Eloi, obwohl ich die Antwort schon zu kennen glaubte.
    »Der Kannibale hat wieder zugeschlagen. Oder ein Waldtier,
das das Grasen satt hat. Oder Graf Dracula, der Werwolf und Frankensteins
Monster sind aus den Büchern rausgekrochen und machen da draußen 'n bißchen
Urlaub. Such' dir eine Variante aus, Dude.«
    »Nein, das will ich nicht«, erwiderte ich. »Ich möchte es
sehen ...«
    Offenkundig war ich mit diesem Wunsch nicht allein, denn
die durch die Grauensnachricht aufgepeitschte Meute schob und drängte bereits
in Richtung der Röhre. Der rote Zausel war schon wieder darin verschwunden, um
den Touristenführer für die Leichenbeschau zu spielen.
    Auch ich wollte mich in die Schlange einreihen und
preschte vor, als Eloi mit strenger Miene vor mich trat und mir den Weg
versperrte. »No way, Kleiner, dafür bist du wirklich noch zu jung.«
    »Wie bitte?«
    »Dude, du hast heute morgen deine komplette Familie
verloren und willst dir jetzt auch noch den Anblick einer gräßlich entstellten
Leiche antun? Nein, ich als der dienstälteste Minzendude hier kann das nicht
zulassen. Du bleibst schön im Brunnen.«
    »Eloi, hast du den Verstand verloren? Du hast doch eben
selbst zugegeben, daß ihr bei dieser unseligen Geschichte außer wilden
Gerüchten und Spekulationen nichts zu bieten habt. Und jetzt willst du
ausgerechnet demjenigen den Zugang zu der Leiche verbieten, der da ein paar
Ideechen mehr auf Lager hat?«
    Sein von ersten grauen Haaren durchsetztes Maskengesicht
bekam einen skeptischen Ausdruck und wurde dann richtiggehend nachdenklich. Die
an den Rändern wie zernagt aussehenden Ohren zuckten nervös. »Und was spricht
dafür, daß du mehr zur Aufklärung beitragen könntest? Du kannst ja nicht einmal
lesen.«
    Ich seufzte resigniert und senkte den Kopf. Er hatte
recht. »Nichts«, sagte ich.
    Inzwischen hatte sich der Raum geleert, und wir beide
standen alleine im trüben Dämmerlicht. Aus den Augenwinkeln registrierte ich,
daß Elois Nachdenklichkeit allmählich in Zerknirschung überging. Ohne Frage
hatte er berechtigten Grund zur Sorge, daß seinem Schutzbefohlenen ein weiteres
Trauma drohte. Doch er kämpfte sichtlich mit sich, weil der Schutzbefohlene eine
qualifiziertere Antwort auf die dringliche Frage zu versprechen schien als alle
anderen in der Gruppe. Einschließlich er selbst.
    »Okay«, sagte er schließlich. »Wir zwei gehen uns die
Leiche ansehen. Aber vorher genehmigst du dir noch eine Portion. Das federt die
fürchterlichen Eindrücke, die du gleich erhalten wirst, etwas ab.«
    Und so geschah es. Ich erging mich an der Minze, wie ich
es beim ersten Mal in solcher Intensität nicht getan hatte. Es konnte sogar
sein, daß ich den Stengel am Ende aufgefressen hatte. Danach hatte ich ein
Gefühl, als schwebte ich auf einem Luftpolster, und das war nicht nur rein
physisch gemeint. Eloi und ich betraten den finsteren Schacht, eine
grobgehauene Aushöhlung vom Anfang des vorigen Jahrhunderts mit dem ungefähren
Durchmesser eines Autoreifens. Die Finsternis darin machte uns natürlich nichts
aus, da meine Rasse mit einer schier magischen Sehfähigkeit ausgestattet ist.
Gleich Nachtsichtgeräten vermögen unsere Augen selbst der schwärzesten Schwärze
noch ein klein wenig Helligkeit abzutrotzen. Von der Röhre gingen beiderseitig
einige Abzweigungen ab. Ich nahm an, daß es sich dabei um Verästelungen
handelte, die seinerzeit den umliegenden Häusern das Frischwasser zugeführt
hatten. Ganz in der Ferne sah ich silhouettenhaft die Kolonne der Dudes, die
uns vorausgeeilt waren. Das durch die Minze verursachte Luftpolster in meinem
Kopf ließ sie wie eine Prozession von Mönchen auf ihrem Weg zu einem
geheimnisvollen Ritual erscheinen. Die Wände der Röhre schienen zu atmen; ganz
deutlich vernahm ich von links und rechts hallende Atemgeräusche, die immer
intensiver wurden. Komischerweise empfand ich bei all dem Hokuspokus keinerlei
Furcht, sondern genoß geradezu die unwirklichen Eindrücke. Was wohl ein Zeichen
dafür war, daß ich mich langsam an die Droge

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