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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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Kreaturen
erschaffen?
    In einem Punkt glichen sie einander jedoch allesamt. Wie
der Bruder vor mir hatten sie sich den Look der Verwahrlosung zugelegt.
Offenbar machten sie sich wenig Mühe, sich zu lecken und zu reinigen. Sie
hatten verzwirbeltes, gar verklebtes Fellhaar, und aus den leicht entrückten
Gesichtern wuchsen bisweilen verquaste Büschel, was sich wohl auf fehlende
Pflege durch Pfotenwischen zurückführen ließ. Von ihrem, diplomatisch
ausgedrückt, eigenwilligen und allgegenwärtigen Odeur ganz zu schweigen.
    Doch die Merkwürdigkeiten nahmen kein Ende. Einige der
Dudes waren über aufgeschlagene Bücher gebeugt, und wie es aussah, lasen sie
auch darin. Ich hatte vorher schon ab und an Menschen beobachtet, die diesem
wundersamen Zeitvertreib frönten. Dabei hatten sie immer in sich gekehrt
gewirkt, gerade so, als versetze der während des Lesevorgangs ablaufende,
aufregende Film in ihrem Kopf sie paradoxerweise in eine Art Lähmung. Nicht so
bei meinen neuen Freunden. Einige von ihnen zogen dabei Grimassen wie ein Clown
oder starrten zwischendurch mit leerem Blick in die Ferne, andere rollten sich
mit ausgestreckten Pfoten, als ob sie durch die Lektüre Anweisungen zur
Gymnastik erhielten, wieder andere vollführten gar Luftsprünge und grapschten
nach imaginären Faltern. Und während der ganzen Zeit stießen sie ohne Pause ein
kehliges Miauen aus, das sich wie ein schräger Mönchsgesang anhörte. Das war
der Singsang, den ich während des Sturzes in den Brunnen vernommen hatte.
    Des Rätsels Lösung für das bizarre Leseverhalten war
offensichtlich. Ich wurde selbst peu â peu von diesem
Verhalten infiziert, obwohl ich gar nicht lesen konnte. Vor einem jeden dieser
schrulligen Artgenossen lag nämlich nicht nur ein aufgeschlagenes Buch, sondern
das gleiche Gewächs wie vor meiner Nase. Alle Dudes snifften, flehmten und
bissen hin und wieder an ihrem eigenen Exemplar herum. Später erfuhr ich, daß
es sich dabei um die berühmt-berüchtigte Minze handelte, die meinesgleichen in
Ekstase versetzt. Kurzum, ich hatte es hier mit einer Sippe eingefleischter
Drogenfreaks zu tun, wenn auch anscheinend intellektueller Natur.
    Zu dieser Erkenntnis war ich aber damals nicht fähig. Kein
Wunder also, daß ich durch das aufsteigende Aroma der Pflanze, das mich noch
dazu animierte, daran zu lecken, selbst innerhalb Sekunden dem Rausch verfallen
war. Leichten Herzens, muß ich gestehen, denn der tiefe Schmerz meiner erst
wenige Minuten zurückliegenden, blutigen Vergangenheit ließ mich immer noch am
ganzen Körper zittern und verlangte nach Linderung. Ich erinnere mich dunkel,
wie ich noch diesen Kerzen-Heini im Hintergrund wahrnahm. Der greisenhafte rote
Zausel mit den stechend kupferfarbenen Augen rannte wie ein Verrückter in dem
Becken herum.
    »Mehr Licht!« schrie er in den Gesang der anderen hinein.
»Mehr Licht! Mehr Licht!« Zwischendurch machte er immer wieder halt, und ich
bemerkte, daß dies stets an einer Stelle erfolgte, wo sich ein Stoß frischer
Kerzen befand. Der Zausel hatte eine interessante Methode entwickelt, die
Dinger anzustecken. Er schnappte sich eine Stange, indem er hineinbiß, und
hielt den jungfräulichen Docht über die Flamme einer schon brennenden Kerze,
bis dieser Feuer fing. Sodann ließ er von dem zerfließenden Wachs etwas
heruntertropfen und machte darauf die Kerze fest. Wieso er das andauernd tat,
blieb allerdings ein Rätsel. Vermutlich hatte er längst den Verstand verloren.
    Mir war es einerlei, löste sich doch alles vor meinem
realen wie auch meinem geistigen Auge in Licht auf. Der vielfache Kerzenschein
nahm binnen Sekunden an Intensität zu und verschluckte so das eh schon
unwirkliche Szenario. Die verwuselten Artgenossen, die in ihren Büchern
studierten, absonderliche Verrenkungen vollführten oder einfach vor sich
hindelirierten, begannen an ihren Konturen abzubrennen und sich selbst in
Lichtwesen zu verwandeln. Der dämmerige Ort war auf einmal wie von
megawattstarken Scheinwerfern angestrahlt. Und bevor ich in ein allgegenwärtiges
Gleißen hinabglitt, sah ich noch das verzottelte Gesicht des Entfernt-Siamesen
über mir. Er lächelte mich in einer Mischung aus Siehste-wohl-Güte und
aufrichtiger Sorge an. Allerdings sah ich auch ein Blättchen der guten Minze an
seiner Nase kleben. Der Kerl war selber total bekifft.
    »Gute Reise, Dude«, sagte er. »Mach dir nicht allzu viele
Sorgen.« Dann wurde er selbst ein Teil des Lichts.
    Ich tauchte ein in die gleißende

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