Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
Form des Rinnsals seinen Weg gebahnt. Der Alte war offenkundig im Innern des
Beckens das Opfer eines Angriffs geworden, hatte sich einige Meter in die Röhre
retten können und war dann hier verblutet.
Trotz des Schocks hatte Paps Verstand genug, sich die
Frage zu stellen, wie solch eine Bestialität geschehen konnte, ohne daß die
anderen Dudes davon etwas mitbekommen hatten und zu Hilfe geeilt waren. Selbst
in Anbetracht der Tatsache, daß zum ersten Mal ein Mord im Brunnenbecken
geschehen war, und alle Anwesenden zu diesem Zeitpunkt geschlafen hatten,
mutete der Vorfall reichlich ungereimt an. Zumindest Eloi, der noch vor einer
Stunde zwar wie immer einen zugedröhnten, nichtsdestotrotz halbwegs wachen
Eindruck gemacht hatte, hätte etwas bemerken müssen. Der Schock jedenfalls wich
der Wut über so viel Unaufmerksamkeit, und Francis stürzte an dem Toten vorbei
in die Höhle ... um blitzartig von der Wut in einen neuen Schockzustand
katapultiert zu werden, einem Schockzustand allerdings, der den vorangegangenen
um das Tausendfache übertraf.
Vor ihm breitete sich ein Tableau des Grauens aus, so
fürchterlich, daß Paps nur mühsam Worte für dessen Beschreibung zustande
brachte. Zunächst einmal war da das Blut in seinen vielfältigen
Erscheinungsformen. Überall Blutlachen, dick und scharlachrot, die sich zu
einem See vereinigten, auf dessen Oberfläche sich der Goldglanz der brennenden
Kerzen spiegelte. Der Blutsee bedeckte den ganzen Boden des Brunnenbeckens, so
daß Paps das Gefühl hatte, der Ort hätte eine Rückwandlung zu seiner ursprünglichen
Funktion in der satanischen Variante durchgemacht. Dann Schlieren von Blut, an
den Wänden, an den Bücherstapeln und in den aufgeschlagenen Büchern, wie
Graffiti des Bösen. Und schließlich die Lieferanten all des vielen Blutes, die
Dudes, seine Helfer, seine Freunde, seine Familie. Sie waren alle auf die
gleiche Weise umgebracht worden wie der bemitleidenswerte Artgenosse in der
Röhre. Ihre Hälse und Genicke schmückten tiefe Bißwunden, und oft sogar richtig
große Löcher, die der Schlachter schön herausgearbeitet hatte. Paps drängte
sich das Bild des Hühnerstalls auf, in dem der Fuchs gewütet hat. Mit einem
Unterschied der Gnade: Vermutlich, höchst wahrscheinlich sogar hatten die
Ermordeten nichts von ihrem Wechsel vom Diesseits ins Jenseits gespürt. Da alle
ihren Minzerausch ausschliefen, hatte der Mörder sich für jeden einzelnen Zeit
nehmen und ihnen seine ganz spezielle Sorgfalt angedeihen lassen können.
Paps torkelte, zwischen Schwächeanfall und dem nackten
Wahnsinn schwankend, ins Zentrum der Höhle und brach schließlich zusammen.
Seine Liebe galt eigentlich einem jeden an diesem Ort, doch zwei von ihnen
besonders. Um so intensiver war der Schmerz, als er sah, daß das Ungeheuer bei
diesen beiden keine Ausnahme gemacht hatte. Madam ruhte immer noch wie ein
weißer Engel auf ihrem Bücherhaufen, doch ihr Kopf hing schlaff über die Kante,
und aus ihrer Nase tropfte in quälend langen Abständen Blut herunter. Als ein
Akt schierer Barmherzigkeit empfand es Francis, der bitterlich zu weinen
anfing, daß die Augen der Ermordeten geschlossen waren. Doch auch die kleinen
Seelen in ihrem Bauch, die bis dahin dem Lebenslicht entgegengeschlummert
hatten, waren jetzt nicht mehr. Ein ungeheurer Schluchzer entrang sich seiner
Kehle und hallte wie eine Klage in dem Gewölbe nach.
Dann der Horror, der sich ihm bis an sein Lebensende
einprägen sollte: Eloi, der Entfernt-Siamese, der Lehrer, sein innigster Freund
hatte einen tiefen und recht blutigen Sturz von seinem Bücherturm vollzogen. Er
saß aufrecht wie ein Mensch am Fuße des Turms, den Rücken gegen die
aufgestapelten Bücher gelehnt, die Hinterpfoten locker ausgestreckt, als fehle
nur noch eine interessante Lektüre auf seinem Schoß, in die sich das
herabbaumelnde Haupt vertieft hatte. Sein Fell war über und über mit Blut verschmiert,
so daß man die Beige- und Rauchtönungen nur erahnen konnte. Der Oberdude sah
aus wie ein Clown, den ein der abstrakten Richtung zugeneigter Maler auf die
Leinwand gebannt hat. An welchen Stellen der Leiche sich die vielen Wunden
befanden, vermochte Paps nicht mehr auszumachen. Er hatte sich von dem ganzen
Greuel schon längst abgewandt.
Er weinte jetzt nicht mehr. Und wenn in seinen Augen noch
Tränen schwammen, so waren diese nicht mehr der Tragödie angesichts seines nun
zum zweiten Mal zerbrochenen Lebens geschuldet, sondern unbändigem Zorn. Zorn
auf
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