Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
inzwischen umgestaltet hatte. Die Hälfte des Plunders
bestand aus von bienenfleißigen Chinesen gefälschter Markenware. Ganze Berge
von Textilien, Turnschuhen und Unterhaltungselektronik stapelten sich
kunterbunt an den Wänden bis zur Decke. Dem Rest der zu ersteigernden Ware
haftete etwas Kurioses an, so daß man sich unweigerlich fragte, woher man
solcherlei dummes Zeug überhaupt beziehen konnte.
Original-Dieter-Bohlen-Pappkameraden, Klobürsten, deren Bürstenköpfe die
Gestalt von Igeln besaßen, Nofretete-Häupter aus Plastik ebenfalls made in
China und und und. Die Krönung bestand aus einer aufgetürmten Pyramide
Einmachgläser randvoll mit einer dubiosen Enthaarungscreme unbestimmter
Herkunft. Ich jedenfalls wollte nicht derjenige sein, der sich dieses bestimmt
hyperaggressive Zeug wer weiß wohin schmiert. Es war in der Tat schwer zu
sagen, ob sich für diesen Tinnef auch nur ein einziger Käufer auf dem Planeten
finden lassen würde, oder aber ob Archie nicht vielmehr dem Messie-Syndrom
anheimgefallen war. Der innovative Ebay-Verkäufer saß im Pyjama vor seinem
Notebook, und sowohl der bis zum Anschlag angespannte Gesichtsausdruck als auch
der aus rotgeränderten Augen ausgesandte, fahrige Blick ließen den Betrachter
inständig hoffen, daß der gute Mann sich zur Sicherheit auch die Notfallnummer
der nächstgelegenen Klapsmühle im Laptop gespeichert hatte. Von den letzten
Treppenstufen taten Blaubart und ich einen beherzten Sprung auf einen
verrosteten Campingtisch und von da aus einen weiteren zum Gesims. Dort
hangelten wir uns an der Traufe hoch und standen dann endlich auf dem Dach. Vor
uns breitete sich ein schauriges und zugleich faszinierendes Panorama aus.
Hinter dem Schneeschleier zogen sich die Gründerzeithäuserzeilen wie parallel
verlaufende, ins Unendliche reichende Bahngleise, deren Enden sich am Horizont
im Dunst verloren. Rings um uns ragten baufällig wirkende Schornsteine,
Belüftungsaufsätze und Gauben wie überdimensionale Pilze in einem
eingeschneiten Wald empor. Auch unsere Rücken und Köpfe waren schon von einer
Schneeschicht bedeckt. Da ein Gebäude lückenlos an seinen Nachbarn anschloß,
konnten wir problemlos von einem Dach zum nächsten gelangen. Haarig wurde es
trotzdem wegen der extremen Rutschgefahr und des Schneefalls. Und auch unsere
nicht gerade olympiaverdächtige Kondition konnte uns noch Schwierigkeiten
bereiten. Zudem pfiff uns hier oben der Eiswind im Vergleich zu unten in
Zehnerpotenz um die Ohren, so daß bei jedem Schritt die Gefahr bestand, daß wir
auf unsere alten Tage noch das Fliegen lernen mußten.
Nichtsdestotrotz trippelte ich mit demonstrativem Elan
voran und nahm die erste Dachschräge in ungefährem Kurs auf den Brunnen in
Angriff. Der treue Blaubart folgte mir humpelnd und ächzend. Seine angestrengte
Miene verriet schon jetzt, daß er große Mühe haben würde, diese Polarexpedition
der Generation 50 plus bis zum Ende durchzustehen. Er stapfte nicht durch den
Schnee, sondern schwamm geradezu darin. Wofür brauchte man einen leicht-, um
nicht zu sagen, einen schwachsinnigen Sohn, wenn man einen solch treuen Freund
besaß? Dieser unmögliche Junior! Wenn ich ihn je wieder zwischen die Pfoten
kriegte, würde ich Blaubart zuvorkommen und ihm selber mit der Kralle eins über
die geschniegelte Visage ziehen.
Nachdem wir den Gipfel des Daches erreicht hatten,
gestaltete sich der Abstieg recht bequem. Wir mußten nur darauf achten, daß wir
nicht über das Ziel hinausschossen, beziehungsweise über die Dachkante
segelten. Der Anfang war jedenfalls gemacht. Und als wir ein paar Dächer
bewältigt hatten, fanden wir unseren eigenen Rhythmus. Trotz der beschwerlichen
Tour, bei der höchste Konzentration gefordert war, beschäftigte ich mich in
Gedanken mit der gestrigen Nacht. An welcher Stelle der Erzählung hatte ich
aufgehört? Ach ja, jetzt fiel es mir wieder ein ...
Von tiefem Schmerz über meine hingemeuchelten Lieben
überwältigt, rannte ich zwischen Selbstmordgedanken und wildesten
Rachephantasien schwankend aus dem Brunnenbecken. Der Sprint in die Röhre an
dem toten Zausel vorbei war ein besinnungsloses Taumeln in der Finsternis, das
ich kaum wahrnahm. Wenn es für mich überhaupt noch so etwas wie eine Verbindung
zur Realität gab, dann die Gewißheit, daß ich nie mehr an diesen einst so
heimeligen und nun hinter einem blutigen Vorhang versunkenen Ort zurückkehren
würde. Ich weinte in einem fort und fühlte mich verflucht, da ich nun
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