Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
nach getanem Massenmord seinem abstrusen Hobby hingab. Mein
ganzer Körper wurde von einer Hitze erfaßt, als müßte ich jeden Moment
auseinanderbersten. Bei genauerem Hinsehen war es vollkommen irrelevant, womit
sich dieser Schlächter sonst noch beschäftigte. Relevant war nur, daß er für
seine Missetaten büßen mußte. Und zwar hier und jetzt!
Für feinsinniges Pläneschmieden hatte ich weder die Zeit
noch die Nerven. Ich erfaßte instinktiv, daß ich mich zwischen den
Geländerstäben nur nach unten zu katapultieren brauchte, um geradewegs auf dem
Kopf des Alten zu landen. Dort aufgetroffen, konnte ich mein heiliges Rachewerk
in Angriff nehmen, das zunächst einmal mit dem Auskratzen seiner Augen beginnen
sollte. Würde er sich bei der Abwehr ungeschickt anstellen, sah man weiter.
Mit der Wucht eines Stahlpfeils und einem wahnsinnigen
Fauchen schoß ich von der Galeriekante herunter, flog in einem hohen Bogen
durch die Luft, und obwohl mir dabei vor Anspannung kurzzeitig das Bewußtsein
entschwand, schaffte ich tatsächlich eine punktgenaue Landung auf der silbernen
Matte des alten Zottelfreaks. Er schrie so laut auf, als sei er von tausend
Klapperschlangen gleichzeitig gebissen worden, und wirbelte wie ein Kreisel mit
ausgebreiteten Armen mehrfach um die eigene Achse. Das Hörrohr, der Griffel und
der Schreibblock flogen ihm aus den Händen, der schwarze Umhang blähte sich
durch die Drehung auf wie ein Fallschirm. Er wußte nicht, wie ihm geschah. Da
sich meine Krallen fest in seine Kopfhaut eingegraben hatten, liefen ihm
Blutrinnsale über die Stirn und bekleckerten das gesamte Runzelgesicht.
Akustisch hätte es eine Steigerung nicht mehr geben können: Das lautstarke
Quäken aus den Geräten, mein wutschnaubendes Gefauche und seine verzweifelten
Schreie bildeten eine infernalische Kakophonie.
Allmählich jedoch schien der alte Herr die Sachlage zu
erkennen, und er griff mit beiden Händen über seinen Kopf. Ich aber arbeitete
mich flugs in Richtung der Stirn, um mir von oben seine Augen vorzunehmen,
bevor er mich herunterholen konnte. Zu spät! Seine Finger packten mich wie eiserne
Greifer bäuchlings, und obwohl ich mich um so vehementer an der Kopfhaut
festkrallte, gelang es ihm, mich von sich herunterzureißen. Schließlich hielt
er mich, ein sich windendes und wild fauchendes Bündel, fest zwischen seinen
Händen, so daß ich gezwungen war, ihm direkt ins Antlitz zu blicken. Gewiß, er
sah mit seiner inzwischen vollkommen verwuselten Haarpracht, den
schmerzverzerrten Gesichtszügen und all dem zerlaufenen Blut aus wie soeben der
Hölle entstiegen. Und doch erkannte ich in dem Gesicht vollkommenes
Unverständnis darüber, wieso ihm eine wildgewordene Bestie die Haut vom Kopfe
fetzen wollte. Auch war sein Griff um meine Taille sanfter, als es die
Situation erforderte. Er hätte mich mit Leichtigkeit zerquetschen können.
»Warum machst du das?« schrie er mich in einem
ehrfurchtgebietenden Brummbaß an. In seinen blauen Kobaltaugen zuckten kleine
Blitze. Die restliche zerfurchte Miene jedoch signalisierte tiefste
Traurigkeit, ganz so, als hätte er einen sehr schmerzhaften Verlust zu
verarbeiten. Der Scheißkerl tat mir beinahe schon leid. »Was habe ich dir
getan?«
»Was du getan hast?« erwiderte ich. »Frag doch nicht so
scheinheilig! Du hast die Mutter meiner künftigen Kinder gemeuchelt. Du hast
meinen besten Freund hingemetzelt. Du hast alle meine Gefährten abgeschlachtet.
Du bist groß und ich bin klein. Aber solange ich auch nur ein Quentchen Leben
in mir spüre, werde ich dich bekämpfen, bis zum bitteren Ende.« Ich haschte mit
dem Maul nach seinen Fingern und versuchte, zumindest in einen von ihnen
hineinzubeißen. Doch es gelang mir nicht. Er hatte mich noch immer fest im
Griff.
»Was redest du da für einen Unsinn, kleiner Freund«, sagte
er, und seine Stimme wurde von Wort zu Wort milder. Sogar so etwas wie einen
Anflug von Amüsement vermeinte ich in der Knitterfratze auszumachen. »Nie im
Leben habe ich jemandem etwas angetan, schon gar nicht irgendwelchen hilflosen
Tieren. Ich weiß gar nicht, wovon du überhaupt redest.«
»Ach nein? Wieso hat man dich dann dreißig Jahre lang in
den Knast gesperrt? Etwa weil du mal einem Baby den Schnuller geklaut hast?«
»Knast? Ich war nie im Knast. Ich war ...« Er hielt mit
einem Mal inne, verharrte mit dem ganzen Körper in Regungslosigkeit wie ein
Roboter, der in voller Aktion jäh abgeschaltet wurde. Er sah derart verdattert
aus,
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