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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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jedem der Räume eine Funzel von einer herabbaumelnden, nackten
Glühbirne für ein bißchen Helligkeit gesorgt, hätte man tatsächlich meinen
können, der Ort sei allein von Gespenstern bewohnt.
    Ich schlüpfte durch das kaputte Fenster ins Haus und lief
über den vom allgegenwärtigen Müll übersäten Dielenboden durch die Zimmer. Im
schwachen Licht wirkte alles wie eine verlassene Rumpelkammer, wären da nicht
die von unten aufsteigenden, wie durch einen Quirl gejagten Stimmen und
Geräusche gewesen, die hier in unmittelbarer Nähe enorm an Lautstärke
zugenommen hatten. Schließlich nahm ich allen Mut zusammen und schlich zu einer
Tür, die auf einen Flur mit anschließender Treppe abwärts führte. Der Flur
entpuppte sich als eine ausladende Galerie, die rund um das gesamte Stockwerk
verlief und einen ungehinderten Blick nach unten erlaubte. Das Erdgeschoß war
ein einziger Salon, und was für einer!
    Voller Erstaunen spähte ich zwischen den kunstvoll geschnitzten
Geländerstäben auf einen ausgedehnten Raum hinab, dessen Eindruck keineswegs
nur von dem mächtigen Kamin, in dem ganze Baumstämme zu lodern schienen, und
den vielen brennenden Kerzen in Kandelabern dominiert wurde. Plattenspieler,
Kassettendecks, dickbauchige Fernseher, Tonband- und Videogeräte, standen in
solcher Hülle und Fiille und so dicht an dicht, daß man
sich im Lager eines Elektronikfachgeschäfts wähnte. Damals galten diese Geräte
noch als das multimediale Nonplusultra. Der Ort war vollgestopft mit dem Zeug,
das bisweilen Inseln und Hügel bildete und sich schier unendlich ausbreitete.
Und alles befand sich in Betrieb, lief ohne Unterbrechung.
    Doch der Inhalt dieses audiovisuellen Chaos war, wenn mich
nicht alles täuschte, der Kern seiner selbst: Kommunikation. Und zwar in jeder
Art und Dimension. Da schallten von den Tonbändern Gesänge von Buschmenschen,
gurgelten seltene Sprachen und Dialekte aus vergessenen Schellackplatten,
zwitscherten Vögel, brüllten Löwen und kreischten Affen aus den
Kassettenrecordern. Auf den Monitoren flimmerten kuriose Übungsfilme für
Sprachbehinderte oder Aufnahmen von Menschen, die perfekt Tierlaute nachahmten.
All dieses Plappern, Jaulen, Grölen und Schnattern vermischte sich zu einem
unheimlichen Radau, der mir schier die Sinne raubte.
    Inmitten der sonderbaren Szenerie stand der
Hauptdarsteller, der äußerlich seiner Umgebung in nichts nachstand. Es handelte
sich um einen Greis. Allerdings wahrlich um keinen, der so wirkte, als erfreue
er sich nach der Verrentung nur noch an seiner beeindruckenden
Rheumadecken-Kollektion. Er war mit einem kaftanartigen, düsteren Gewand
bekleidet, das jedoch seine kräftig gebaute, großgewachsene Gestalt kaum
verbergen konnte. Vor dem von scharfkantigen Falten überzogenen, immer noch von
pulsierender Energie beseelten Gesicht wedelten einzelne Strähnen seiner weit
über die Schultern reichenden Haare. Sie waren ergraut, doch funkelten sie
imposant wie bei einem alten Indianer. Er besaß eine eindrucksvolle Adlernase,
kobaltblaue Augen und einen wie von einem Visagisten purpurrot geschminkten,
breiten Mund. Alles in allem vermittelte der alte Knabe den Eindruck, als wäre
der Lebensherbst nicht mehr als ein vernachlässigbares Handicap, das es durch
die Kraft des Willens zu überwinden galt.
    Weniger imposant sah freilich das aus, was er inmitten des
Multimedia-Gaus veranstaltete. Und damit war auch das Rätsel gelöst, weshalb
alle Geräte bis zum Anschlag aufgedreht waren. Der Hausherr hielt sich ein
altmodisches Hörrohr ans Ohr, das sich von der dünnen Spitze am Gehörgang zu
einem gewaltigen Trichter nach außen vergrößerte. Damit eilte er von einem
Radaumacher zum anderen, was etwa so aussah, als schwebe Graf Dracula in
Pelerine durch seine Gruft, und lauschte in den jeweiligen Lautsprecher hinein.
Sodann notierte er sich mit einem antiquierten Griffel etwas auf einen
Schreibblock und sputete danach zum nächsten Gerät.
    Das Ganze sah für mich ziemlich verrückt aus, und mit Sicherheit
hatte ich auch einen Verrückten vor beziehungsweise unter mir. Dennoch kamen
mir wieder die scheußlichen Bilder aus dem Brunnen in den Sinn, die dieser
Verrückte zu verantworten hatte: Madam, Eloi, der rote Zausel und all die
anderen Dudes, wie sie in grotesk verrenkten Posen in ihrem Blut gelegen
hatten. Und im Schlepptau dieser bluttriefenden Bilder kam auch der
Vernichtungswille auf den langhaarigen, grauenhaften Clown zurück, der sich,
wie es aussah,

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