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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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er ist jung, das heißt, bekloppt. Vielleicht ist er
in aller Herrgottsfrühe hinausgerannt und heckt wer weiß was für einen Unsinn
aus.« Er hob den Kopf und warf einen grimmigen, einäugigen Blick auf das
zweiflüglige Toilettenfenster, das durch die geöffnete Tür zu sehen war. Hinter
der Scheibe schwebten dicke weiße Flocken vorbei. Der Schneegott hatte eine
neue Schicht eingelegt. »Allerdings muß man schon mehr als jung und bekloppt
sein, um bei diesem Wetter auch nur eine Pfote ins Freie zu setzen. Ja, ja,
wenn man so alt ist wie ich, dann hat das unbestreitbar auch einen großen
Vorteil: Man stirbt erst viel später!«
    Mit einem Mal durchfuhr es mich wie ein Blitz. Die
Gutenachtgeschichte über meine dramatische Vergangenheit, die ich Junior bis
weit nach Mitternacht zum besten gegeben hatte, kam mir in den Sinn. Wie er
mich gedrängt hatte, zu verraten, wo sich dieser verdammte Brunnen befindet,
bevor ich die Geschichte überhaupt zu Ende bringen konnte! Dieser leichtsinnige
Junge sollte doch nicht etwa mitten in der Nacht ... ?
    Ich unterbrach das große Fressen und versuchte mich zu
beruhigen. Selbst wenn er so verrückt gewesen sein sollte, gleich nach dem
ersten Teil meiner biographischen Ergüsse den düsteren Ort der Anfänge
aufzusuchen, konnten ihm dort nach all den Jahren keine wirklichen Gefahren
mehr drohen. Alles war längst aus, vorbei und tot, nichts als ein
ausgebleichter Schwarzweißfilm in meinem Schädel. Dennoch breitete sich die
Sorge um meinen einzigen Helden, meinen lieben Sohn, in mir aus wie eine nach
allen Richtungen auseinanderdriftende Armee giftiger Insekten. Ja, so wie ich
den stets von krankhafter Neugier erfüllten Klugscheißer kannte (ein unseliges
Vermächtnis seines Vaters), war er bestimmt nach der Viertel-Beichte sofort zum
Ort des ehemaligen Geschehens gerannt, um sich ein eigenes Bild davon zu
machen. Eine intellektuelle Art von familiärem Sensationstourismus. Aber, und
dieses Aber jagte mir großen Schrecken ein, wieso war er dann nicht schon
längst zurückgekehrt? Denn selbst wenn man die widrigen meteorologischen
Umstände berücksichtigte, hätte er jetzt mit uns am Freßnapf stehen müssen.
Eine furchtbare Ahnung bemächtigte sich meiner und schnürte mir die Kehle zu.
    »Wir müssen los, Blaubart!« sagte ich.
    »Wie bitte?« Sein verunfallt aussehendes Gesicht wirkte so
verdattert, als hätte ich verlautbart, unsere Rasse müsse noch vor dem Homo
sapiens eine Basisstation auf dem Mars errichten. Er deutete mit hilflosem
Ausdruck und einer Pfote in Richtung des Klofensters, hinter dem der Schneefall
an Heftigkeit zugenommen hatte.
    Auch Sancta unterbrach ihr Frühstück und schaute mich
besorgt an. »Bestimmt machst du dir umsonst Sorgen, Lieber«, sagte sie mit
ihrer sanften Stimme. »Du weißt doch, wie flatterhaft Junior ist. Hast du schon
vergessen, daß er immer mal für Tage von der Bildfläche verschwindet und dann
urplötzlich wieder auftaucht? Versteh das jetzt nicht falsch, aber er ist ein
junger Mann!«
    Meine schlanke silberblaue Schöne mit dem gebogenen Rücken
blickte mich durch wache grüne Augen mitfühlend an. Ihre hochgestellten
Riesenohren signalisierten Anspannung, wo sie doch so bemüht war, mir ruhige
Gelassenheit vorzugaukeln.
    »Danke für das Kompliment, Liebste. Aber jetzt erzählt
euch der alte Mann, was letzte Nacht vorgefallen ist, während ihr längst im
Schlummer gelegen habt. Vielleicht zweifelt ihr dann auch daran, daß der Kleine
kurz mal nach draußen geschlüpft ist, um einen schmucken Schneemann zu bauen.«
Ich berichtete den beiden in Kurzform von meiner durch Junior erzwungenen
biographischen Beichte und davon, wie er die ganze Zeit unbedingt die genaue
Lage des Brunnens hatte erfahren wollen. »Ich sage ja nicht, daß ihn die bösen
Geister von damals erwischt haben«, endete ich. »Aber so ein tiefer Brunnen ist
rein architektonisch keine ungefährliche Anlage, auch nicht für Genossen mit
seiltänzerischen Qualitäten wie wir.«
    »Scheiße ja, da ist was dran«, sagte Blaubart in seinem
ehrfurchtgebietenden Baß und kratzte sich den ergrauten Schädel. »Schätze, wir
müssen den Kleinen wirklich suchen. Und wenn wir ihn gefunden haben, ziehe ich
ihm als erstes mit der Kralle eins über die geschniegelte Visage, damit er
weiß, wo der Hammer hängt. So ein Mist, und ich hatte gehofft, ich könnte
wenigstens einmal im Leben während der Weihnachtstage nur meinen Arsch so nah
an den Kamin schieben, bis der zu

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