Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
eigentlich jeder Kult, besitzt einen
lebensbezogenen, wahren Kern. Und dieser Kern kann nicht nur darin bestanden
haben, daß sie damals das Tier für sich nutzbar machten. Die Sumerer jedenfalls
besaßen eine weitaus intensivere Beziehung zum Tier, als es sich nur auf
materieller Ebene erklären ließe. Auf einem freigelegten mächtigen Steinpfeiler
fanden Forscher die Darstellung eines Mannes, eine kopflose Gestalt mit
Phallus. Über der Gestalt sind riesige Geierdarstellungen eingemeißelt –
Illustrationen eines gewaltsamen Todes? Wohl kaum. Denn auch in den später
ausgegrabenen Darstellungen stieß man immer wieder auf kopflose Gestalten, über
denen Geier schweben. Offenbar nahm der Glaube, daß die Vögel den Körper der
Toten ins Jenseits tragen, schon in früher Zeit seinen Anfang. Damals ...«
Er machte eine bühnenreife Kunstpause und sog an der bis
auf einen Zentimeter heruntergerauchten Filterlosen, von der Aschebrocken
fielen. »Damals schienen die Menschen mit den Tieren tatsächlich gesprochen zu
haben. Beide Parteien vermochten in die Gedankenwelt des jeweils anderen
einzutauchen. Irgendwann verlor sich diese Gabe. Die Sprachverwirrung in
Babylon, wie sie uns die Bibel lehrt, bezieht sich vermutlich auf eine ganz
andere Kommunikationsentfremdung als nur auf die unter den Menschen. Ich
jedenfalls war stets mit der Frage beschäftigt, ob ein sprachlicher Austausch zwischen
Mensch und Tier möglich sei. Ich meine damit nicht das Put-put-put! mit Hühnern
oder das Hasso-sitz! mit des Menschen bestem Freund. Ich rede hier von echter
Sprache, von mündlichem Informationsaustausch. Man hat mich für verrückt
gehalten. Mit Tieren könne man nicht reden, hieß es. Und die Leute hatten auf
ihre bornierte Art recht. Mir gelang es ja selber nicht. Und doch habe ich mit
allen Mitteln versucht, einen Zugang zu eurer Sprache zu finden. All die
Hilfsmittel, die du hier siehst, zeugen davon.«
Er vollführte mit dem linken Arm eine Geste in Richtung
seines audiovisuellen Instrumentariums. Dann schritt er an den einzelnen
Geräten entlang und schaltete sie nacheinander wieder ein. Auf den Monitoren
erschienen erneut Paviane, deren aufgeregte Schreie einem undurchsichtigen
Modulationsmuster gehorchten, aus den Kassettenrecordern erklang
Vogelgezwitscher vielfältiger Art, die Schallplatten wiederholten die sich
bizarr anhörenden Übungen für Sprachgestörte, und von den Tonbändern vernahm
man das geheimnisvolle Fiepen und Kiecksen von Kreaturen, die selbst ich kaum
einer Gattung zuzuordnen vermochte. Der Alte hatte sich wahrhaftig in die
Materie hineingekniet. Fragte sich bloß, was er in all den Jahren der Isolation
in dieser Institution ohne den ganzen technischen Kram angestellt hatte.
»Okay, Refizul.« Ich stand auf und folgte ihm. »Du
wolltest unbedingt beweisen, daß man auch mit Ameisenbären einen gepflegten
Plausch halten kann. Und das ist dir ja endlich gelungen. Es ist jetzt
offenkundig, daß du diese verschüttete Gabe besitzt. Wieso und warum, ist mir
allerdings schleierhaft. Aber da ist ein kleiner Haken an deiner Geschichte.
Man sperrt jemanden nicht dreißig Jahre ein, nur weil er sich bemüht, mit
anderen Arten auf sprachlicher Ebene in Kontakt zu treten.«
»Bist du dir da so sicher?« Er drehte sich auf dem Absatz
zu mir herum, wobei sich der weite Umhang wieder so aufplusterte, als habe sein
Träger den Kopf durch die obere Öffnung eines Zirkuszeltes gesteckt. »Glaubst
du wirklich, daß sich das Wertesystem der heutigen Welt noch so
aufrechterhalten ließe, wenn es tatsächlich eine Kommunikation zwischen Mensch
und Tier gäbe?«
»Wie meinst du das?«
»Nun, was macht ein Bauer, mit dem seine Schweine
plötzlich reden? Oder seine Rinder, seine Schafe, seine Hühner? Bringt er sie
dann trotzdem ruhigen Gewissens zum Schlachter? Man stelle sich die Situation
einmal bildlich vor: Wenn er die Tiere an dem entscheidenden Tag in den
Viehtransporter treibt, spüren die Opfer allmählich ihr Bestimmungsziel, sie werden
immer unruhiger, tuscheln mit zittrigen Stimmen, fassen schließlich ihr blankes
Entsetzen laut in Worte ...«
Mir fiel der Unterkiefer herunter. Über diese Konsequenz
hatte ich bis jetzt noch gar nicht nachgedacht.
Refizul lächelte, er genoß sichtlich den Umstand, daß er
mir gedanklich ein paar Schritte voraus war. »Die Sprache vermenschlicht den
anderen und verwandelt selbst das fremdartigste Wesen in eine gleichberechtigte
Person. Wie würde sich solch eine
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