Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
einen Lautsprecher
angeschlossen. Nichtsdestotrotz spürte ich in diesem explosiven Lachen etwas
ganz und gar Künstliches, ja die Darbietung eines Theatereffektes, der mich
blenden und so vom Kern des Geheimnisses ablenken sollte.
»Die berühmt-berüchtigte Mär von dem Kannibalen, der nach
der Verbüßung seiner tausendjährigen Strafe ins Geisterhaus zurückkehrt und nur
noch Vierbeiner killt, weil er auf seine alten Tage milde geworden ist«, sagte
er, nachdem er sich wieder eingekriegt hatte. »Das galt schon vor siebzehn
Jahren als ausgemachter Blödsinn. Und heute? Heute ist es verschimmelter
Blödsinn. Die Villa ist seitdem nicht mehr bewohnt und gleicht einem
Langzeit-Experiment von Architekten, die feststellen wollen, wann ein sich
selbst überlassenes Gebäude in sich zusammenstürzt. Und was diesen alten Narren
angeht, ist er inzwischen mit absoluter Sicherheit den Weg allen Fleisches
gegangen. Das war also der grandiose Verdacht deines Vaters? Hast du eben nicht
erwähnt, er sei ein überragender Detektiv? Da sieht man mal wieder, wie
effektiv Public relations in eigener Sache die Karriere fördern.«
Ich wußte nicht, was ich ihm darauf antworten sollte, war
ich doch der gleichen Meinung. Jedenfalls was den Quatsch mit dem Kannibalen betraf.
Was allerdings die Darstellung von Paps als karrieresüchtigem Detektiv anging,
war es unter meinem Niveau, über derartigen Blödsinn überhaupt zu reden. Nein,
der Grund, weshalb ich mit der wahren Antwort zögerte, hatte weniger mit
Spekulationen zu tun, auf denen mittlerweile zentimeterdicker Staub lag,
sondern mit seinen verletzten Gefühlen. Hinsichtlich seines Vaters Eloi
nämlich, den er in seiner Scheinwelt zu einem sakralen Opfer hochstilisiert
hatte. Wieder einmal bestätigte es sich, daß man der Schönste und der Coolste
sein konnte, obwohl man permanent aus dem Herzen blutete.
»Es wäre vielleicht nett, wenn ich meine Ausführungen zu
Ende bringen könnte, Morlock«, fuhr ich fort, ohne auf die höhnische
Unterbrechung einzugehen. »Ich glaube auch nicht, daß der geheimnisvolle Mann
in der Villa für das Massaker verantwortlich war – nicht direkt. Als mir ein
paar Details in Paps' Beichte unstimmig erschienen, konnte ich das Ende nicht
mehr abwarten und bin hierher gerannt. Meine Zweifel waren gerechtfertigt.
Zunächst einmal ist es eine groteske Vorstellung, daß ein erwachsener Mann
durch ein stillgelegtes Wasserrohr kriecht, um eine Kolonie von
halbverhungerten, minzesüchtigen und den Menschen durch keinen unmittelbaren
Schaden bedrohenden Tiere auszulöschen. Es gibt aber gegen die
Kannibalen-Theorie auch einen handfesten Beweis. Ein Mensch tötet normalerweise
mit einem Werkzeug, einem Messer vielleicht oder einer Schere, von mir aus auch
mit einer richtigen Waffe. Dabei würden diese prägnante Spuren an den Knochen
der Opfer hinterlassen. Aber die Gebeine hier sind bis auf ein paar
vernachlässigbare Kratzer makellos.«
»Was willst du damit sagen?« Morlocks in krampfhafter
Ironie aufrechterhaltene Fassade bröckelte allmählich.
»Ich will damit sagen, daß der Typ in der Villa mit diesem
Gemetzel direkt nichts zu tun hatte. Es war, wie du es schon sagtest, einer der
Dudes, der sich mit den Drogen- und Schlafgepflogenheiten der anderen
auskannte. Dennoch spielen die vorherigen Morde auf den Minzefeldern eine entscheidende
Rolle.«
»Jetzt bin ich aber mal gespannt.«
»Ich ebenso, denn mit einer waschechten Auflösung kann ich
leider nicht dienen. Es ist nur eine Ahnung. Und diese Ahnung bezieht sich auf
den unglaublichen Minzekonsum, der von ... Eloi kräftig forciert wurde.«
Morlock schaute mich mit unbewegter Miene an, als wolle er
demonstrieren, daß üble Nachrede gegen seinen geheiligten Vater ihn in keiner
Weise aus der Fassung zu bringen vermochte.
»Auch das Lesen der Bücher, von denen ich übrigens glaube,
daß sie bewußt zu diesem abgeschiedenen Ort gebracht wurden, erscheint mir als
eine Art Test. So wie ich es sehe, handelte sich bei der ganzen Sache um so
etwas wie eine Selektion. Es ging darum, innerhalb der Brunnenbewohner die
Spreu vom Weizen zu trennen. Es ging darum, den Richtigen zu finden.«
»Den Richtigen wofür?«
Nun war ich es, dessen Fassade bröckelte. »Ich habe nicht
den blassesten Schimmer, Morlock. Dennoch sagt mir eine innere Stimme, daß die
Minze bei jedem einzelnen Dude zunächst das Bewußtsein erweitern und dann sein
wahres Ich zum Vorschein bringen sollte. So konnte man erfahren, ob er
Weitere Kostenlose Bücher