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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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umzukippen drohte. Morlocks Griff
wurde immer fester, seine Krallen rissen immer qualvollere Wunden in meine
Haut, und sein nunmehr von offener Mordlust entstelltes Maskenantlitz mit dem
beharrlich zuschnappenden Messergebiß war von meinem schon arg blutenden Gesicht
nur noch Millimeter weit entfernt. In einem seiner schwachen Momente gelang es
mir mit allen mir zur Verfügung stehenden Kräften, mich von ihm zu befreien.
Ich vollführte einen Riesensatz auf die Kommode, war mir jedoch dabei bewußt,
daß er mir unverzüglich nachsetzen würde. Deshalb stürzte ich mich sofort nach
der Landung zur Seite und sah ihn auch schon im Anflug in meine Richtung. Als
er bei mir eintraf, versetzte ich ihm mit den Hinterpfoten einen brachialen
Tritt.
    Morlock wurde nach hinten katapultiert, flog von der
Kommode und stürzte auf einen der spießförmigen Kerzenständer. Das Ding
durchbohrte ihn vom Bauch, die Spitze kam aus dem Rücken wieder heraus. Er sah
aus, als hätte er eine Metamorphose zu einem Schmetterling hinter sich, den ein
Sammler mit einer Nadel gepfählt hat. Wie ein nach unten weisendes U an dem
Kerzenleuchter hängend, bewegten sich die Beine noch, als gehörten sie einer
Marionette, die ihr Spieler in der Luft zappeln ließ. Aus seiner Nase und dem
Maul träufelte Blut, und der keilförmige Kopf schwang irritiert hin und her.
Doch nicht einmal diese finale Situation konnte seiner braunbeigen Schönheit
mit den markanten schwarzen Sprühflecken Abbruch tun. Im Angesicht des Todes
kam die unvergleichliche Pracht des Schmetterlings mit vielfacher Wirkung
zurück. Ich schwöre es, das hatte ich nicht gewollt!
    Ich sprang von der Kommode und näherte mich ihm. »Wieso
hast du den Schlüssel zu deinem Geheimnis nicht zerstört, bevor ihn jemand in
die Pfoten kriegt, Morlock?« fragte ich. Nur eiserner Wille hinderte mich
daran, in ein großes Geheule auszubrechen.
    »Weil ...« Seine Zähne färbten sich dunkelrot vom
herausquellenden Blut. »Weil ich nicht damit gerechnet habe, daß sich nach all
den Jahren jemand dafür interessieren würde. Es war meine einzige Verbindung zu
ihm, das einzige Andenken. Die untere Schublade ... mein Vater ... er war nur
ein dummer Dienstbote, weiter nichts für den Lichtbringer.« Er schloß die Augen
und gab ein trauriges Stöhnen von sich.
    »Was für ein Lichtbringer?«
    Morlock öffnete die Augen wieder. Das brillante Blau war
trübe geworden, geradeso, als sei die Farbe aus ihnen ausgelaufen. »Er bringt
das Licht, die Morgenröte, und damit blendet er dich. Aber am Ende ist um dich
herum nur noch die Finsternis. Mein Vater ... er hat sich von ihm blenden
lassen, obwohl er nur der Fänger war ...« Er spuckte einen gewaltigen Klumpen
Blut aus.
    »Morlock, was bedeuten diese Begriffe, Lichtbringer,
Fänger? Bitte, du mußt es mir sagen, bevor du ...«
    »Es tut mir so schrecklich leid, Junior. Vor allem, weil
ich das Geheimnis für mich behalten habe. Aber ich, ich habe ihn so sehr
geliebt, meinen Vater, ich war der Wächter seines Geheimnisses ...«
    Ein starkes Zucken durchfuhr ihn, so daß er sich ein
letztes Mal aufbäumte und einen Schrei ausstieß. Dann sackte Morlock in sich
zusammen und glich jäh einem reglos am Bügel baumelnden Pelzkragen.
    Was mich anging, so war mir die Lust an der
Geheimniskrämerei nun gründlich vergangen. Tränen traten mir in die Augen, und
am ganzen Leibe zitternd ließ ich ihnen freien Lauf. Ich hatte den Kerl kaum
gekannt, und durch seine krasse Abschiedsvorstellung gewann ich auch nicht
gerade den Eindruck, daß er je einer der Guten gewesen war. Und dennoch hatte
es diese Verbindung zwischen uns gegeben: Ein Sohn zu sein und wie ein Sohn zu
fühlen, auch wenn der eigene Vater ein Scheusal war. Sein Schicksal ging mir
auch deshalb so an die Nieren, weil ich es bis vor ein paar Jahren selbst
geteilt hatte. Ich hatte es verdrängt, aber in Anbetracht dieses grenzenlosen
Unglücks eruptierte die Erinnerung um so machtvoller. Denn auch ich hatte einst
den tollen Francis, den unbekannten, nie anwesenden Vater gesucht – und
schließlich gefunden. Morlock jedoch hatte nie eine Chance gehabt, seinen Vater
zu finden. Eloi war ihm schon vor seiner Geburt an den Lichtbringer
verlorengegangen.
    Allmählich spürte ich wieder meine schmerzenden Knochen
und die brennenden Kratzer, die mir derjenige beigebracht hatte, um den ich nun
weinte. Doch bevor ich mich auf den beschwerlichen Weg nach Hause machte und
mich von Gustav verarzten ließ, trat wie

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