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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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herausgezerrt.
    Wir befanden uns am Ufer eines Sees, der ob seines
lieblichen Randbewuchses von einem romantisch veranlagten Gartenbauarchitekten
kreiert worden zu sein schien. Sich tief ins Wasser beugende Trauerweiden, im
Morgenwind wiegende Schilfrohre, moosbewachsene Steine und eine atemberaubend
farbenträchtige Blütenpracht umgaben das Gewässer. Alles war flankiert von
einem düsteren Mischwald, der Assoziationen an Grimmsche Märchen weckte.
    Etwas Märchenhaftes konnte man auch dem See selbst mit
seinem klaren Wasser und der schier perfekten Kreisform abgewinnen. Ziemlich im
Zentrum befand sich eine putzige Insel, welche von einem einzigen Gebäude
dominiert wurde. Es handelte sich dabei um einen altertümlichen Bau, ein
ehemaliges Kloster vielleicht oder der Landsitz eines schöngeistigen Monarchen.
Obgleich das eckige Mauerwerk überwiegend in romanischer Schlichtheit gehalten
war, traten hier und dort kunstvolle Türmchen, Erker, Portale und
Kapellenauswölbungen mit verspielter Ornamentik hervor. Die Anlage erstreckte
sich zwischen zwei burgähnlichen Mauertürmen von einem Inselende zum anderen.
Es bedurfte keiner großen Phantasie, sich die ungezählten Flure und Gänge im
Innern des alten Kastens vorzustellen und wie leicht man sich in ihnen verirren
konnte. Der altehrwürdige Bau wirkte völlig marode und grau und überhaupt dem
Gefängnis des Grafen von Monte Christo nicht unähnlich. Und doch schmeichelte
ihm die Morgenröte so charmant, tauchte ihn in solch berückende warme Farbtöne,
daß es eine einzige Augenweide war.
    Ganz in unserer Nähe ragte ein arg einsturzgefährdet
wirkender Anlegesteg ins Wasser. Die krummen und schiefen Planken der morschen
Holzkonstruktion krümmten sich an den Seitenenden wie die Zehennägel einer
häßlichen Kreatur nach oben. Daran war eine Fähre vertäut, die offenkundig aus
einem anderen Jahrtausend stammte, ein schlichter und wie von einem
Schreinerlehrling an seinem ersten Arbeitstag gezimmerter Kasten und, wen
wundert's, genauso morsch.
    In Begleitung unserer fürsorglichen Pfleger begaben wir
uns zu diesem Steg. Ich schöpfte schon ein wenig Hoffnung und begann Pläne zur
Flucht zu schmieden, weil ich mir ausrechnete, daß die beiden nicht dieses
archaische Ungetüm lenken und gleichzeitig Refizul und mich in Schach halten
würden können. Doch gerade als wir das Ende des Stegs erreichten, versperrte
uns mit einem lauten Schiuuuw! eine recht beeindruckende Gestalt den Weg. Das
Ganze war einigermaßen wundersam, allerdings hatte ich beim Ausbrüten der
Fluchtgedanken weder nach rechts noch nach links geguckt, sondern alles um mich
herum ausgeblendet, so daß es durchaus möglich war, daß ein Fremder außerhalb
meines Wahrnehmungskreises aus dem Nichts auftauchen konnte.
    Dieser Fremde entsprach von seinem Erscheinungsbild her
irgendwie dem maroden Anlegesteg. Sein Gesicht war das eines knochigen
Kröterichs, es bestand nur aus Runzeln und war trotz des Traumsommers bleich
wie ein Leichentuch. Ein weißer Kaktusbart sproß ihm aus den hohlen Wangen, die
milchig trüben Augen lagen in tiefen Höhlen. Der greisenhafte Mann trug einen
dunklen Schlapphut aus wie mürbe gekautem Leder und eine Art Pelerine, die
farblich und von der Beschaffenheit her der Kopfbedeckung ähnelte. Er stemmte
sich auf einen verkrüppelten Pflock, augenscheinlich der Antrieb seines
Wassertaxis zu der anderen Welt.
    »Grüß dich, Charon«, sagte der Panzermann zu dem
Kröterich, der so grimmig dreinblickte, als wolle er kleinen Kindern Alpträume
bescheren. »Na, alles frisch? Och, Entschuldigung! Hab vergessen, daß der
Ausdruck mit deiner Gesichtsfarbe kollidiert. Nichts für ungut, Mann, bring uns
einfach rüber.«
    »Den Obolus!« tönte Charon mit der knarzigen Stimme eines
kaputten Science-fiction-Film-Roboters.
    Ich glaubte an einen weiteren Witz, denn weshalb sollten
die Angestellten für einen Shuttledienst zu ihrem Arbeitsplatz bezahlen, wo
doch so was normalerweise von der Firma geregelt wurde? Doch es war kein Witz,
ganz im Gegenteil. Der Hüne griff in die Hosentasche und zog daraus nicht
irgendeinen langweiligen Schein hervor, sondern wahrhaftig einen Goldtaler.
Dieser funkelte augenblendend in dem intensiver gewordenen Sonnenschein. Charon
überprüfte die Echtheit der Münze, indem er mit seinen wie gesprengte
Steinblöcke wirkenden Vorderzähnen hineinbiß, ließ sie dann in der Pelerine
verschwinden und machte den Weg frei.
    Wir stiegen in die schon zu einem

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