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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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Viertel überspülte, aber
auch sonst alles andere als vertrauenerweckende Fähre, und der alte Fährmann am
Heck tauchte seinen Pflock ins Wasser und stieß vom Ufer ab. Das Ding
abwechselnd rechts und links in den Grund des Sees stechend und so das
Holzvehikel vorwärts schiebend, steuerte er in Richtung der Insel. Beim
Näherkommen gab das prächtige und leider doch so heruntergekommene Gebäude
immer ausgeklügeltere architektonische Details preis. Nach der Hälfte der
Strecke begann uns Dunst einzuhüllen. Es war nicht ungewöhnlich, daß zu dieser
Jahreszeit, da in der Frühe die morgendliche Wärme auf das in der Nacht
abgekühlte Wasser traf, Nebelphänomene über den Gewässern entstanden.
Ungewöhnlich waren nur die Dichte des Dunsts und die schlangengleich tanzenden
Schwaden, die der Szenerie etwas Gespenstisches verliehen. Das Sonnenlicht
durchflutete den Brodem und ließ bizarre Diffusionseffekte entstehen.
    Während der ganzen Zeit schaute Refizul nachdenklich vor
sich hin und schwieg. Er schien sich mit seinem Schicksal abgefunden zu haben.
Ich selbst hatte mich inzwischen an meinen Entführer Zack gewöhnt, der mich
auch nicht mehr grob am Nacken packte, sondern ganz lieb im Arm hielt. Wenn er
mich gleich auch noch mit einem delikaten Mahl überraschte, würde ich ihn, so
ausgepowert wie ich mich fühlte, glatt heiraten.
    Wir erreichten endlich das andere Ufer, verließen die
Fähre und gingen an Land, während Charon unverzüglich zurücksetzte. Vor dem
spitzbogenförmigen, mit einem Zierband geschmückten Haupttor stand auch schon
das entsprechende Begrüßungskomitee: zwei zahnlose, alte Frauen und ein Mann,
der der König der Bekloppten zu sein schien. Sie steckten in weißen Nachthemden
und empfingen Refizul wie einen Triumphator. Als sie ihn ankommen sahen,
begannen sie zu tanzen, stimmten irgendwelche Gesänge an und vollführten mit
wirrem Blick Gesten der Anbetung.
    Trotz der Hosianna-Rufe gelang es mir, mich kurzzeitig in
die Betrachtung des schmucken Portals zu vertiefen. Aus dessen Einfassung
traten in kohlschwarzem Stein gemeißelte Köpfe, Fratzen, Torsos, Tiergestalten
und greuliche Mythenwesen hervor. Alle Figuren hatten eine von Schrecken und
Qual geprägte und grotesk verrenkte Pose eingenommen, aus traurigen Augen
starrten sie in ein namenloses Grauen. Sie schienen gefangen in einem
furchtbaren Ort, an dem allein Gewalt und Schmerz regierten.
    »Refizul, o anbetungswürdiger Refizul!« kreischte
eines der Weiber, dessen schlohweiße Haarpracht einem von talentlosen Vögeln
gebauten Nest ähnelte. Sie sah aus wie eine Hexe in Rente. Die Gesichtshaut
erinnerte an zerknülltes Recyclingpapier, die Augen waren groß wie
Pingpongbälle, die Lippen über die Ränder hinaus scharlachrot geschminkt.
Anscheinend handelte es sich bei dem alten Gemäuer um eine sehr fortschrittliche
Institution, wenn die Irren schon von Irren abgeholt werden durften. »Wie ist
es dir in deinem Königreich ergangen? Du mußt uns alles erzählen.« Sie war ganz
aufgeregt.
    »Ja, später, Clara.« Refizul rang sich ein künstliches
Begrüßungslächeln ab, während er von dem Panzermann rüde vorwärts geschubst
wurde.
    »Du bist aber ein schöner Neuzugang. Wie heißt du denn?«
hörte ich plötzlich an meinem rechten Ohr eine säuselnde Stimme. Ich drehte
mich um und erblickte die männliche Verkörperung des Wahnsinns neben mir. Der
alte Knabe mit dem dünnen weißen Haarkranz um die wie poliert wirkende Glatze
stank zum Herrgottserbarmen. In dem schmutzigen Nachthemd und mit der
gebrochenen und abstrus schief gewachsenen Nase, den Knopfaugen und dem
Stoppelbart war er der Inbegriff des Revoluzzer-Idols sämtlicher Seniorenheime.
Er haschte nach mir, doch Zack, der mich anscheinend mittlerweile ins Herz
geschlossen hatte, hielt mich wie eine eifersüchtige Mutter von ihm fern.
Nichtsdestotrotz trippelte er mit dem enthusiastischen Ausdruck eines Kindes,
das in der Zoohandlung zum ersten Mal ein Meerschweinchen gesehen hat, neben
mir her und machte mit den Fingern alberne Kille-kille-Bewegungen.
    »Meinst du mich?« fragte ich aus reiner Verzweiflung.
    »Na klar, wen denn sonst«, erwiderte er.
    Hoppela! Schon wieder einer, der unsere Sprache verstand.
Anscheinend hatte Refizul die Kunst aller Künste doch erst in dieser Akademie
erlernt. Oder gestaltete sich die Sache vielleicht eher so, daß die Zwiesprache
zwischen Mensch und Tier eine Domäne der Verrückten war, was eigentlich zum
lustigen Allgemeinwissen

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