Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
nicht mehr zu leugnen war, mußte ich es mir eingestehen: Ich
schaute einem Gespenst ins Angesicht!
Eduard von Refizul, der silberhaarige Greis auf dem
Zeitungsfoto in vertrauter Pose mit Eloi, war wiedergeboren worden. Es konnte
keine andere Erklärung geben. Das Knittergesicht mit der eindrucksvollen Matte
hatte schon auf dem Bild so ausgesehen, als stünde der Greis mit einem Bein im
Grab. Inzwischen waren aber siebzehn Jahre vergangen, so daß es einem Wunder
gleichgekommen wäre, hätte der Alte noch nicht das Zeitliche gesegnet. Und in
Anbetracht des Knaben vor mir wurde diese Rechnung endgültig zur Farce. Diese
Refizul-Kopie sah bei weitem jünger, vitaler und irgendwie schelmischer aus als
das Original auf dem Foto. Von einem Knittergesicht keine Spur. Die langen,
dunklen Haare waren mit einer Goldklammer zu einem Pferdeschwanz gebunden, und
ein Ring in Form eines fratzenschneidenden Dämons hing am rechten Ohrläppchen.
Er wirkte eher wie ein hipper Modezar, was vor allem auf seine Kleidung zutraf.
Er trug einen elegant geschnittenen, schwarzen Zweiteiler, und auch Hemd und
Krawatte waren rabenschwarz, allerdings aus feinster Seide, so daß sie sich von
dem Anzug durch ihren Glanz abhoben. Kurzum, ich hatte es hier mit einem
modernen Dandy zu tun.
»Refizul?« brachte ich ungläubig hervor.
Sein mitfühlendes Lächeln entwickelte sich zu einem
herzhaften Lachen. »Richtig geraten, mein Freund!« erwiderte er, nachdem er
sich wieder eingekriegt hatte. »Woher kennst du meinen Namen?«
Ich erklärte es ihm, wobei ich die Dinge nur andeutete.
Aber selbst dieses wenige dauerte eine Weile, denn ich mußte ja erst bei Paps'
Jugenderinnerungen anfangen und dann noch erzählen, was mir nach meinem Weggang
alles zugestoßen war. Am Ende meiner Erzählung gab er sich recht erschüttert,
nahm mich sanft in die Hände und spazierte aus dem Operationssaal. Von meinen
vielfältigen Verwundungen spürte ich nicht einmal mehr ein Zwicken. Vom ersten
Moment an fühlte ich mich in den Händen dieses Mannes geborgen. Mehr noch, ich
fühlte mich wie eingelullt in eine magische Stimmung.
»Das ist ja eine verrückte Geschichte, Junior«, sagte er,
während wir durch Gänge spazierten, welche in ihrer Ausstattung dem
Marmorinterieur der Empfangshalle in nichts nachstanden. »Da muß ich dir wohl
im Gegenzug meine Geschichte erzählen ...«
»Moment mal«, unterbrach ich ihn. »Wie kommt es
eigentlich, daß wir uns miteinander so locker vom Hocker unterhalten können,
Kumpel? Normalerweise ist ein Gespräch zwischen Mensch und Tier ein Ding der
Unmöglichkeit. Oder träume ich das alles wieder nur?«
»Du hast wohl recht, daß es sich um einen in Erfüllung
gegangenen Traum handelt. Aber du greifst meiner Erzählung voraus, denn
eigentlich ist das der Gag der Geschichte. Ich heiße zwar Refizul, bin aber
nicht der Refizul, den du auf dem Foto gesehen hast. Ich bin sein Sohn, Vito.«
Schon wieder ein Sohn? Die Söhne schienen in diesem
verzwickten Fall allmählich inflationäre Ausmaße anzunehmen. Seltsamerweise
tauchten sie auch stets an passender Stelle auf. Wenn man diesen Gedanken
weiterspann, befand ich mich am Ende vermutlich doch in einem Traum, nämlich in
dem unserer Väter. Denn allen Söhnen, einschließlich mir, war bis jetzt eines
gemeinsam: Sie hatten mit der Vergangenheit ihrer Väter nicht abgeschlossen.
Aber welch ungeheuerliches Geheimnis verbarg sich in dieser Vergangenheit, daß
sie noch so lange und folgenschwer nachwirkte?
»Mein Vater, ein Sprachforscher, hatte die Vision, daß ein
direkter sprachlicher Austausch zwischen Mensch und Tier möglich sei«, fuhr
Refizul fort, während wir einen Aufzug ansteuerten, der von einem prächtig
verzierten Messingrahmen eingefaßt war. »Man hat ihn deswegen für verrückt
erklärt. Am Ende seines Lebens im wörtlichen Sinne. Aber davor hat er alles
mögliche unternommen, um seine Theorie zu beweisen. Was natürlich bestimmten
Kreisen wenig gefiel. Der Nahrungsmittelindustrie nicht, weil sie Tiere als
hübsch zerhackte Leckereien an die Konsumenten verkauft und ein gewaltiges
Problem bekommen würde, wenn die Leckereien plötzlich ein ernstes Wörtchen mit
den Konsumenten reden. Den Forschern für Tierversuche nicht, weil sie wohl auf
der Stelle arbeitslos wären, wenn herauskäme, daß diejenigen, die sie täglich
foltern und töten, sie in ihrer Sprache um Erbarmen bitten. Den christlichen
Kirchen und den Vertreter des Islams nicht, weil sie dann anerkennen
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