Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
weiterzuverbreiten. Morgenrot Inc. hat es
sich zur Mission gemacht, die Sprache zwischen unterschiedlichen Spezies mit
der gleichen Selbstverständlichkeit unter die Leute zu bringen wie andere
Fremdsprachen.«
Wir stiegen die Stufen hinunter und näherten uns einem Tisch,
an dem eine junge Blondine in einem schwarzen Geschäftskostüm saß. Ihr
gegenüber kauerte eine Birma mit dem säuerlichen Ausdruck eines Oberstudienrats
vor aufgeschlagenen Büchern. Dem Griesgram fehlte nur noch eine Nickelbrille
vor seinem wie mit Zigarettenasche getupften Gesicht. Bis auf die Ohren, Beine
und den extrem buschigen Schwanz war er seidenweiß. Die saphirblauen Augen
funkelten giftig.
»Nein, nein, nein!« schrie er die junge Frau an. »Man kann
Seren Kierkegaard nicht ausschließlich als einen religiösen Philosophen
klassifizieren. Zwar begreifen wir uns nach seiner Lehre als ein Selbst, dem
nur von Gott Unendliche Existenz zukommt. Daher ist das Ziel des religiösen
Wesens, in ein existentielles Verhältnis zu Gott zu treten. Dies kann allein im
Glauben geschehen. Gott als das Absolute ist nicht der Kausalität der Welt
unterworfen und entzieht sich daher als der Unbekannte unserem Verstand, er ist
rational nicht erkennbar. Das heißt aber nicht, daß wir uns ohne Gott nicht als
ein sowohl immanentes als auch transzendentes Wesen erkennen würden.«
»Wovon redest du, Kasimir?« erwiderte die Blondine genervt
und fächelte sich mit einer Hand Luft zu. »Ich rede doch nur von Søren, dem
Kantinenkoch, und daß er sich als Fünf-Sterne-Maître gefälligst etwas
mehr einfallen lassen sollte als den ewigen Rehrücken, wenn er schon für eine
halbe Mio im Jahr aus L. A. abgeworben wurde.«
»Ach so«, sagte Kasimir und sackte in sich zusammen.
Refizul jr. schmunzelte. »Solche Auseinandersetzungen
haben wir hier öfters. Mensch und Tier tauchen durch die Aufhebung der
Sprachbarriere ungehindert in die Geisteswelt des jeweils anderen ein und
lernen sich dadurch besser kennen. Glaube mir, mein Freund, so wie es
heutzutage verpönt ist, Menschen wegen ihrer Rasse, ihres Geschlechts oder
ihrer Religionszugehörigkeit zu diskriminieren, so wird es in naher Zukunft
unmöglich sein, Kreaturen jedweder Art unterschiedlich zu behandeln.«
»Super!« sagte ich. »Könnten wir vielleicht diese sonnige
Zukunft zumindest im kulinarischen Bereich nicht etwas vorziehen? Obwohl man
nach der Narkose nicht sofort etwas zu sich nehmen sollte, hörte sich die Sache
mit dem Rehrücken für mich echt klasse an.«
»Nein«, entgegnete Refizul scharf. »Das Zeug würde ja doch
wieder gleich aus dir herauskommen.«
Ich seufzte. Wir streiften an einer Couch vorbei, auf der
sich ein verlaust wirkender Typ mit filzigen Dreadlocks lümmelte. Er hatte sich
einen speckigen Anorak unbestimmbarer Farbe übergestülpt und trug eine auch
nicht gerade wie frisch gewaschen wirkende Hose, die ihm so weit war, daß er
sie locker mit drei anderen Jungpennern hätte teilen können. Auf seinem Schoß
saß eine merkwürdigerweise völlig saubere Japanese Bobtail mit der klassischen,
rot-schwarz-weiß gefleckten Mi-Ke-Färbung. Das schlanke, im seidenweichen Fell
verpackte Bürschchen mit dem buschigen, aber extrem kurzen Schwanz, der dem
eines Kaninchens ähnelte, schien einiges mit dem Verlausten zu teilen. Und zwar
im buchstäblichen Sinne. In den Lauschern der beiden steckten winzige Ohrhörer,
die über Kabelstränge mit einem weißen iPod verbunden waren. Sie schwangen ihre
Köpfe zum Rhythmus des Sounds. Der Musikgenuß hinderte sie jedoch nicht daran,
sich genau deswegen in Brüllautstärke gegenseitig zu attackieren.
»Das ist doch kein Detroit Techno, Alter!« schrie der
Freak von einem Japanese Bobtail den menschlichen Freak an, ohne das wilde
Kopfschwingen zu unterbrechen. »Die Jungs kommen aus Liverpool, die haben den
Style einfach nicht drauf. Hört sich für mich eher wie Trance-Progressive
Industrial Metal an. Und das geht ja wohl gar nicht. Zieh dir das mal rein!«
Sprachs und fummelte mit den Vorderpfoten an dem Player herum.
Der Dreadlock hörte sich den neuen Sound zwei geschlagene
Sekunden an, bis er seinerseits in ein Gebelle losbrach, allerdings ebenso,
ohne das Kopfschwingen auszusetzen. »Das soll Trance-Progressive Industrial
Metal sein? Blödsinn, Alter, das ist Dark Ambient! Kommt irgendwie uncool.
Nein, wenn du dir echt geiles Gothic Metal antun willst, hau dir das mal in die
Löffel.«
So ging es die ganze Zeit hin und her. Kaum
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