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Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12

Titel: Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Akif Pirinçci
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da der
See zugefroren war und der Schneeschauer wie eine Gardine wirkte, ging von dem
Anblick etwas Beklemmendes aus, zumal alles rundherum von einem düsteren
Tannenwald umfaßt wurde.
    Ich hatte allerdings andere Probleme, als mich in
ästhetischen Anschauungen zu ergehen. Die mir von Morlock beigebrachten Wunden
schmerzten in noch nie zuvor empfundener Intensität, auch hatten sie meine
letzten Kraftreserven aufgezehrt. Wohl oder übel gestand ich mir ein, daß aus
dem Detektivspiel tödlicher Ernst geworden war. Ich hatte einen schrecklichen
Fehler gemacht, den ich vermutlich kaum überleben würde. Der einzige Ort, wo
ich auf Hilfe hoffen durfte, blieb der Riesenkasten am gegenüberliegenden Ufer.
Es handelte sich allerdings um eine äußerst trügerische Hoffnung. Denn wie es
aussah, gab es die in der Bildunterschrift erwähnte psychiatrische Privatklinik
nicht mehr. Diese Anstalt war damals in einem alten Kloster untergebracht
gewesen, von dem jedoch offenkundig nicht einmal mehr die Grundmauern
existierten. Das Gebäude auf der Insel sah eher nach einer Konzernzentrale aus.
Ein verwundetes, kleines Tier wie mich würde man dort sicher nicht einmal durch
die Tür lassen. Doch es existierte zumindest der Hauch einer Hoffnung: Sowohl
die damalige Klinik als auch der jetzige Repräsentationsbau hatten den Namen Morgenrot gemein.
    Mit allerletzter Kraft und leicht schwankend schaffte ich es
vom Ufer zu der Eisplatte und bewegte mich darauf schnurstracks in Richtung der
Insel. Dabei versuchte ich, die sich von den Wunden ausbreitende Kälte in
meinem Körper zu ignorieren. Je näher ich meinem Ziel kam, desto gespenstischer
erschien es mir. Der Himmel hüllte sich in ein Basaltgrau und schaufelte
tonnenweise Schnee herunter, trotzdem schillerte die Glashaut des Gebäudes wie
bei Sonnenschein, und obwohl drinnen unzählige Menschen arbeiten mußten, war
weit und breit keine Seele zu sehen. Und dann wurde es richtig gespenstisch!
    Auf halber Strecke erblickte ich vor mir eine Silhouette.
Zunächst von unscheinbarer Gestalt, erreichte sie beim Näherkommen eine recht
ansehnliche Größe. Was konnte es nur sein? Vielleicht stellte es so etwas wie ein
Denkmal dar. Aber mitten in einem zugefrorenen See? Ich beschleunigte meine
Schritte, und als ich endlich vor dem Ding stand, war ich derart baff, daß ich
kurzfristig meine Schmerzen vergaß. Es handelte sich um eine mittelalterliche
Holzfähre, einen schlichten, vermoderten Kasten. Doch daß sich die vergammelte
Fähre bei mindestens zehn Grad minus in eine Eisskulptur verwandelt hatte, war
nicht das eigentlich Erstaunliche. Es war der Passagier darin, beziehungsweise
der Fährmann. Schneeflocken umspielten ihn, von Ohren und der Nase hingen
Eiszapfen herab. Der knochige, hohlwangige, runzelige Greis mit einem ergrauten
Stoppelbart trug einen ledernen Schlapphut und eine bis zu den Füßen reichende
Pelerine. Aus tief in den Höhlen liegenden, aufgerissenen Augen sandte er einen
furchterregenden Blick aus, geradeso, als sei er eine strafende Figur. Der
Fährmann stützte sich mit einem Arm auf einen Pflock, der mit dem Eismantel
festgewachsen war, der andere wies mit ausgestrecktem Zeigefinger zur Insel
hin.
    Natürlich konnte ich darüber nur spekulieren, ob der
gruselige Typ echt war und ich also tatsächlich einen erfrorenen Menschen vor
mir hatte. Denn es kam wohl selten vor, daß ein Mensch aufrecht und mit
ausgestrecktem Arm erfror. Vielleicht war es ein Scherz, irgendeine
Schaufenster- oder Theaterdekoration, die die Werbeleute des Unternehmens Morgenrot als augenzwinkernde Warnung an Konkurrenten im See herumtreiben ließen.
Aber der Bursche sah so verdammt real aus ...
    Die Schmerzen meldeten sich wieder, und obwohl die vom
Fährmann angezeigte Richtung nichts Gutes verhieß, blieb mir keine andere
Alternative, als mich genau dorthin zu begeben.
    Beim Erreichen der Insel stellten sich die wahren
Dimensionen des Hochhauses heraus. Es war ein Gigant, ach was, ein Titan von
einem Bauwerk, das auf halber Höhe wie von Gottesfingern um die eigene Achse
verbogen zu sein schien und sich schier monströs in den Schneehimmel bohrte.
Das spiegelnde Glaskorsett machte es unmöglich, einen Einblick ins Innere zu
erhaschen. Ein breiter Treppenaufgang führte zu dem ebenfalls nur aus Glas
bestehenden Eingang. Ich schleppte mich die Stufen hoch, und zu meiner
Überraschung schoben sich oben die automatischen Türen mit einem leisen Summen
zur Seite. Warme Luft blies mir

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