Felidae 06 - Schandtat-neu-ok-22.02.12
sanfte Bewegung der Wellen zu einem unförmigen, hellen
Fleck, der immer wieder für Sekundenbruchteile seine perfekte Kreisgestalt
zurückerlangte. Entwurzelte Schlingpflanzen, abgestorbene Blätter und
Abermilliarden von winzigsten Schmutzpartikeln schwebten an mir vorbei. Ich war
mir nicht sicher, ob ich das Bewußtsein verloren hatte oder ob mich schon erste
Trugbilder eines Nahtoderlebnisses heimsuchten. Jedenfalls kehrte plötzlich eine
merkwürdige Ruhe in mich ein – vermutlich wie bei jedem Sterbenden. Ich
richtete den Blick nach unten. Ach, wie schön! Grüne Hügel und Täler wurden von
Fischschwärmen umspielt, die ich zu meinen lebendigen Zeiten mit Wonne
verschlungen hätte. Nun genoß ich die Aussicht. Lichtspiegelungen huschten
wellenartig über Unterwasserdünen, eine sich romantisch im Strom wiegende Flora
lud mich zum Verweilen ein, und da und dort erinnerte mich ein bis zur
Unkenntlichkeit verrostetes Fahrrad an mein eigenes jüngstes Schicksal.
Allmählich erreichte ich den Grund des Sees, und ich blickte in einen
beeindruckenden Miniatur-Canyon aus emporragenden Felsen. Und sah die sich mir
entgegenstreckenden Menschenarme dazwischen!
Obwohl ich vielleicht tot, halbtot oder schon ganz tot
war, wurde ich von einem Schauer durchschüttelt und begann wieder wild zu
strampeln. Hatte sich das Jenseits anfangs recht einlullend gegeben, so zeigte
es jetzt sein wahres Gesicht. Darauf konnte ich herzlich verzichten. Doch ein
unheimlicher Sog riß mich kontinuierlich abwärts, so daß ich immer mehr in das
Schattenreich der Felsen geriet. Langsam wurden die zu den Armen gehörenden
menschlichen Leiber sichtbar. Es war unfaßbar: Auf dem tiefsten Grunde des Sees
und wie bei einer Ballettchoreographie in einer Reihe aufgestellt, blickten
mich die Doktoren Gabriel, Michael, Raphael, Uriel und Raguel vorwurfsvoll an.
Die Feuerwerksnummer von eben schien sie keinen einzigen Kratzer gekostet zu
haben, und von irgendwelchen Verbrennungen konnte nicht einmal ansatzweise die
Rede sein. Sie steckten in ihren weißen Kitteln, die jedoch wegen der Düsternis
hier unten moosgrün flimmerten. Ihre einst akkurat gescheitelten Frisuren waren
unter Wasser völlig aus der Fasson geraten. Die einzelnen Haare standen ihnen
zu Berge und schwankten wie in Zeitlupe hin und her. Die Gesichter zeugten
allerdings von einer tatsächlichen Totenblässe, und die aufgerissenen Augen
hätten ebenfalls die von Leichen sein können. Offenkundig hatte ich es mit
Unterwasser-Zombies zu tun.
»Glaubst du wirklich, ein wertvolles Werk vollbracht zu
haben, Francis?« fragte Gabriel mit hallender Stimme, während ich über ihm
schwebte. Ich bemerkte, daß nicht eine einzige Luftblase seinem Mund entwich.
Er und seine Kollegen mit ihren wie zum Gebet hochgestreckten Armen hätten
glatt bei Madame Tussauds als Vorgruppe auftreten können.
»Francis? Wer ist Francis? Ich heiße Dude«, erwiderte ich.
Offenkundig war auch ich inzwischen mit der Gabe gesegnet, unter Wasser
sprechen zu können. »Und ja, ich glaube durchaus, daß ich das Richtige getan
habe. Irgendwer mußte euch Leuteschindern Einhalt gebieten. Jetzt seid ihr tot,
und ich bin tot. Aber der Gerechtigkeit ist Genüge getan. Endlich werden sich
Tiere und Menschen durch eine gemeinsame Sprache verstehen und in Harmonie
zueinanderfinden.«
Dr. Gabriel versuchte ein mechanisches Lächeln. Es sah
aus, als würde man einer Eisstatue Elastizität beibringen. »Interessante
Theorie. Das war es also, was das Tier bisher vom Menschen trennte, die
Sprache. Ich sage dir, mein Freund, keine Sprache des Universums wird Mensch
und Tier je zusammenbringen. Weil es da nämlich einen weit bedeutenderen
Unterschied zwischen ihnen gibt. Aber das wirst du im Laufe deines langen
Lebens noch ganz von selbst herausfinden, Francis. Vorerst jedoch solltest du
dir ein paar Gedanken darüber machen, mit wem du dich überhaupt eingelassen
hast.«
»Mit einem armen Irren, der einen großartigen Traum
träumt«, sagte ich trotzig.
»Träum weiter!« sagte Dr. Gabriel und schoß plötzlich gemeinsam
mit seinen Zombie-Kollegen delphinartig zwischen den Felsen zu mir hoch. Ehe
ich mich versah, packten mich zehn Hände von allen Seiten und beförderten mich
nach oben. Man hätte an eine Baywatch-Rettungsaktion von grotesken, weiß
bekittelten Nixen denken können. »Wenn du aus dem Traum aufwachst, mach dir mal
ein paar Gedanken darüber, was du da vorhin unterschrieben hast. Ich gebe zu,
wir hatten nicht mehr
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